Das Urteil | Page 4

Franz Kafka
sagte der Vater leise, ohne Bewegung.
Georg kniete sofort neben dem Vater nieder, er sah die Pupillen in dem m��den Gesicht des Vaters ��bergro? in den Winkeln der Augen auf sich gerichtet.
?Du hast keinen Freund in Petersburg. Du bist immer ein Spa?macher gewesen und hast dich auch mir gegen��ber nicht zur��ckgehalten. Wie solltest du denn gerade dort einen Freund haben! Das kann ich gar nicht glauben.?
?Denk doch noch einmal nach, Vater,? sagte Georg, hob den Vater vom Sessel und zog ihm, wie er nun doch recht schwach dastand, den Schlafrock aus, ?jetzt wird es bald drei Jahre her sein, da war ja mein Freund bei uns zu Besuch. Ich erinnere mich noch, da? du ihn nicht besonders gern hattest. Wenigstens zweimal habe ich ihn vor dir verleugnet, trotzdem er gerade bei mir im Zimmer sa?. Ich konnte ja deine Abneigung gegen ihn ganz gut verstehn, mein Freund hat seine Eigent��mlichkeiten. Aber dann hast du dich doch auch wieder ganz gut mit ihm unterhalten. Ich war damals noch so stolz darauf, da? du ihm zuh?rtest, nicktest und fragtest. Wenn du nachdenkst, mu?t du dich erinnern. Er erz?hlte damals unglaubliche Geschichten von der russischen Revolution. Wie er z. B. auf einer Gesch?ftsreise in Kiew bei einem Tumult einen Geistlichen auf einem Balkon gesehen hatte, der sich ein breites Blutkreuz in die flache Hand schnitt, diese Hand erhob und die Menge anrief. Du hast ja selbst diese Geschichte hie und da wiedererz?hlt.?
W?hrenddessen war es Georg gelungen, den Vater wieder niederzusetzen und ihm die Trikothose, die er ��ber den Leinenunterhosen trug, sowie die Socken vorsichtig auszuziehn. Beim Anblick der nicht besonders reinen W?sche machte er sich Vorw��rfe, den Vater vernachl?ssigt zu haben. Es w?re sicherlich auch seine Pflicht gewesen, ��ber den W?schewechsel seines Vaters zu wachen. Er hatte mit seiner Braut dar��ber, wie sie die Zukunft des Vaters einrichten wollten, noch nicht ausdr��cklich gesprochen, denn sie hatten stillschweigend vorausgesetzt, da? der Vater allein in der alten Wohnung bleiben w��rde. Doch jetzt entschlo? er sich kurz mit aller Bestimmtheit, den Vater in seinen k��nftigen Haushalt mitzunehmen. Es schien ja fast, wenn man genauer zusah, da? die Pflege, die dort dem Vater bereitet werden sollte, zu sp?t kommen k?nnte.
Auf seinen Armen trug er den Vater ins Bett. Ein schreckliches Gef��hl hatte er, als er w?hrend der paar Schritte zum Bett hin merkte, da? an seiner Brust der Vater mit seiner Uhrkette spiele. Er konnte ihn nicht gleich ins Bett legen, so fest hielt er sich an dieser Uhrkette.
Kaum war er aber im Bett, schien alles gut. Er deckte sich selbst zu und zog dann die Bettdecke noch besonders weit ��ber die Schulter. Er sah nicht unfreundlich zu Georg hinauf.
?Nicht wahr, du erinnerst dich schon an ihn?? fragte Georg und nickte ihm aufmunternd zu.
?Bin ich jetzt gut zugedeckt?? fragte der Vater, als k?nne er nicht nachschauen, ob die F��?e genug bedeckt seien.
?Es gef?llt dir also schon im Bett?, sagte Georg und legte das Deckzeug besser um ihn.
?Bin ich gut zugedeckt?? fragte der Vater noch einmal und schien auf die Antwort besonders aufzupassen.
?Sei nur ruhig, du bist gut zugedeckt.?
?Nein!? rief der Vater, da? die Antwort an die Frage stie?, warf die Decke zur��ck mit einer Kraft, da? sie einen Augenblick im Fluge sich ganz entfaltete, und stand aufrecht im Bett. Nur eine Hand hielt er leicht an den Plafond. ?Du wolltest mich zudecken, das wei? ich, mein Fr��chtchen, aber zugedeckt bin ich noch nicht. Und ist es auch die letzte Kraft, genug f��r dich, zuviel f��r dich. Wohl kenne ich deinen Freund. Er w?re ein Sohn nach meinem Herzen. Darum hast du ihn auch betrogen die ganzen Jahre lang. Warum sonst? Glaubst du, ich habe nicht um ihn geweint? Darum doch sperrst du dich in dein Bureau, niemand soll st?ren, der Chef ist besch?ftigt -- nur damit du deine falschen Briefchen nach Ru?land schreiben kannst. Aber den Vater mu? gl��cklicherweise niemand lehren, den Sohn zu durchschauen. Wie du jetzt geglaubt hast, du h?ttest ihn untergekriegt, so untergekriegt, da? du dich mit deinem Hintern auf ihn setzen kannst und er r��hrt sich nicht, da hat sich mein Herr Sohn zum Heiraten entschlossen!?
Georg sah zum Schreckbild seines Vaters auf. Der Petersburger Freund, den der Vater pl?tzlich so gut kannte, ergriff ihn, wie noch nie. Verloren im weiten Ru?land sah er ihn. An der T��re des leeren, ausgeraubten Gesch?ftes sah er ihn. Zwischen den Tr��mmern der Regale, den zerfetzten Waren, den fallenden Gasarmen stand er gerade noch. Warum hatte er so weit wegfahren m��ssen!
?Aber schau mich an!? rief der Vater, und Georg lief, fast zerstreut, zum Bett, um alles zu fassen, stockte aber in der Mitte des Weges.
?Weil sie die R?cke gehoben hat,? fing der Vater zu fl?ten an, ?weil sie die R?cke so gehoben hat, die widerliche Gans,? und er hob, um das darzustellen, sein Hemd so hoch, da? man auf
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