Das Maerchen von dem Myrtenfraeulein | Page 8

Clemens Brentano
sagte: "Herr! ich habe keine Myrte und habe
auch keine haben wollen; aber diese Locke gebe ich in deine Hand und
bitte dich um eine Gnade." Der Prinz versprach sie ihr, und sie erzählte
ihm, wie die ganze Mordtat geschehen sei, und bat ihn, er möge seinem
entflohenen Kammerherrn verzeihen und sie mit demselben vermählen.
Da gab ihr der Prinz einen Gnadenbrief für denselben, und sie lief zu
ihm in den Wald, wo er sich in einem hohlen Baum versteckt hatte, in
den sie ihm täglich zu essen gebracht. Der Kammerherr erfreute sich
sehr über sein Glück und kam mit ihr wieder in die Stadt. Als aber der
Prinz die Haarlocke auch vergraben hatte, sprach die Myrte:
Nun bin ich ganz Im alten Glanz, Bring mir den Kranz Und führe mich
zum Hochzeitstanz
Da ließ der Prinz ein großes Fest vor allem Volke im Schloßgarten
ansagen; da alles versammelt war, ward die Myrte unter einen
Thronhimmel gestellt, und der schönste Blumenkranz, mit Gold
durchwunden, ward ihr von dem Töpfer und der Töpferin aufgesetzt,
und als dies kaum geschehen war, trat das Myrtenfräulein, wie die
schönste Braut geschmückt, aus dem Baum hervor und ward von ihren
Eltern, welche sie noch nie gesehen hatten, unter Freudentränen und
dann von dem glücklichen Prinzen als seine Braut herzlich umarmt. Da
standen die neun Mordfräulein wie auf heißen Kohlen; der Prinz aber
sprach: "Was verdient der, welche diesem Myrtenfräulein etwas zu
Leide tut?" Und einer sagte da nach dem andern irgendeine harte Strafe
her, und als die Frage an die neun Fräulein kam, sagten sie alle
zusammen: "Daß ihn die Erde verschlinge und seine Hand aus der Erde

wachse"; und kaum hatten sie es gesagt, als die Erde sie auch
verschlang und über ihnen Fünffingerkraut hervorwuchs. Nun wurde
die Hochzeit gehalten, und der Kammerherr hielt mit dem jüngsten
Fräulein auch Hochzeit. Es schenkte dem Prinzen der Himmel auch
bald ein kleines Myrtenprinzchen, das ward in der schönen Wiege des
alten Töpfers gewiegt, und das ganze Land war froh und glücklich.
Der Myrtenbaum aber ward bald so stark und groß, daß man ihn ins
Freie setzen mußte. Da begehrte die Prinzessin Myrte, daß er neben die
ehemalige Hütte ihrer Eltern gesetzt werde; das geschah auch, und die
Hütte ward zu einem schönen Landhaus verändert, und endlich ward
aus dem Myrtenbaum ein Myrtenwald, und die Enkel des Töpfers und
seiner Frau spielten darin, und die beiden guten Leute wurden dort, wie
sie gewünscht hatten, unter dem Myrtenbaum begraben. Der Prinz und
das Myrtenfräulein ruhen wohl auch schon dort, wenn sie nicht mehr
leben sollten, woran ich fast zweifle; denn es ist schon sehr lange her.
Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Das Märchen von dem
Myrtenfräulein" von Clemens Brentano.


"Das Märchen von dem Myrtenfräulein"

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