Casanovas Heimfahrt | Page 5

Arthur Schnitzler
mit den Kindern bis hierher gebracht hatte, worauf jener auf das Pferd einhieb und die Landstra?e in der Richtung nach Mantua weiterfuhr.
Die M?dchen nahmen Olivo und Casanova gegenüber unter Lachen und scherzhaftem Gez?nk auf dem Rücksitz Platz; sie sa?en eng aneinandergedr?ngt, redeten alle zugleich, und da ihr Vater gleichfalls zu sprechen nicht aufh?rte, war es Casanova anfangs nicht leicht, ihren Worten zu entnehmen, was sie alle einander eigentlich zu erz?hlen hatten. Ein Name klang auf: der eines Leutnants Lorenzi; er sei, wie Teresina berichtete, vor einer Weile an ihnen vorbeigeritten, habe für den Abend seinen Besuch in Aussicht gestellt und lasse den Vater sch?nstens grü?en. Ferner meldeten die Kinder, da? die Mutter anfangs gleichfalls beabsichtigt h?tte, dem Vater entgegenzufahren; aber in Anbetracht der gro?en Hitze hatte sie's doch vorgezogen, daheim bei Marcolina zu bleiben. Marcolina aber war noch in den Federn gelegen, als man von Hause wegfuhr; und vom Garten aus durchs offne Fenster hatten sie sie mit Beeren und Haselnüssen beworfen, sonst schliefe sie wohl noch zu dieser Stunde.
?Das ist sonst nicht Marcolinens Art,? wandte sich Olivo an seinen Gast; ?meistens sitzt sie schon um sechs Uhr oder noch früher im Garten und studiert bis zur Mittagszeit. Gestern freilich hatten wir G?ste, und es dauerte etwas l?nger als gew?hnlich; auch ein kleines Spielchen wurde gemacht, - nicht eins, wie es der Herr Chevalier gew?hnt sein m?gen - wir sind harmlose Leute und wollen einander nicht das Geld abnehmen. Und da auch unser würdiger Abbate sich zu beteiligen pflegt, so k?nnen Sie sich wohl denken, Herr Chevalier, da? es nicht sehr sündhaft dabei zugeht.?
Als vom Abbate die Rede war, lachten die M?dchen und hatten einander wei? Gott was zu erz?hlen, worüber es noch mehr zu lachen gab als vorher. Casanova aber nickte nur zerstreut; in der Phantasie sah er das Fr?ulein Marcolina, das er noch gar nicht kannte, in ihrem wei?en Bette liegend, dem Fenster gegenüber, die Decke heruntergestreift, halb entbl??ten Leibes, mit schlaftrunknen H?nden sich gegen die hereinfliegenden Beeren und Haselnüsse wehrend; - und eine t?richte Glut flog durch seine Sinne. Da? Marcolina die Geliebte des Leutnants Lorenzi war, daran zweifelte er so wenig, als h?tte er selbst sie beide in z?rtlichster Umschlingung gesehn, und er war so bereit, den unbekannten Lorenzi zu hassen, als ihn nach der niemals geschauten Marcolina verlangte.
Im zitternden Dunst des Mittags, über graugrünes Laubwerk emporragend, ward ein viereckiges Türmchen sichtbar. Bald bog der Wagen von der Landstra?e auf einen Seitenweg; links stiegen Weinhügel gelinde an, rechts über den Rand einer Gartenmauer neigten sich Kronen uralter B?ume. Der Wagen hielt an einem Tor, dessen verwitterte Holzflügel weit offen standen, die Fahrg?ste stiegen aus, der Kutscher, auf einen Wink Olivos, fuhr weiter, dem Stalle zu. Ein breiter Weg unter Kastanienb?umen führte zu dem Schl??chen, das sich auf den ersten Anblick etwas kahl, ja vernachl?ssigt darbot. Was Casanova vor allem ins Auge fiel, war ein zerbrochenes Fenster im ersten Stockwerk; ebenso entging es ihm nicht, da? die Umfassung auf der Plattform des breiten, aber niedern Turmes, der etwas plump auf dem Geb?ude sa?, da und dort abbr?ckelte. Hingegen zeigte die Haustüre eine edle Schnitzerei, und in den Flur tretend, erkannte Casanova sofort, da? das Innere des Hauses sich in einem wohlerhaltenen und jedenfalls weit bessern Zustand befand, als dessen ?u?res h?tte vermuten lassen.
?Amalia,? rief Olivo laut, da? es von den gew?lbten Mauern widerhallte. ?Komm herunter so geschwind du kannst! Ich hab' dir einen Gast mitgebracht, Amalia, und was für einen Gast!? - Aber Amalia war schon vorher oben auf der Stiege erschienen, ohne für die aus der vollen Sonne in das D?mmer Tretenden sofort sichtbar zu sein. Casanova, dessen scharfe Augen sich die F?higkeit bewahrt hatten, selbst das Dunkel der Nacht zu durchdringen, hatte sie früher bemerkt als der Gatte. Er l?chelte und fühlte zugleich, da? dieses L?cheln sein Antlitz jünger machte. Amalia war keineswegs fett geworden, wie er gefürchtet, sondern sah schlank und jugendlich aus. Sie hatte ihn gleich erkannt. ?Welche überraschung, welches Glück!? rief sie ohne jede Verlegenheit aus, eilte rasch die Stufen hinab und reichte Casanova zur Begrü?ung die Wange, worauf dieser sie ohne weitres wie eine liebe Freundin umarmte. ?Und ich soll wirklich glauben,? sagte er dann, ?da? Maria, Nanetta und Teresina Ihre leiblichen T?chter sind, Amalia? Der Zeit nach m?chte es zwar stimmen -? ?Und allem übrigen nach auch,? erg?nzte Olivo, ?verlassen Sie sich darauf, Chevalier!? - ?Dein Zusammentreffen mit dem Chevalier,? sagte Amalia mit einem erinnerungstrunknen Blick auf den Gast, ?ist wohl an deiner Versp?tung schuld, Olivo?? - ?So ist es, Amalia, aber hoffentlich gibt es trotz der Versp?tung noch etwas zu essen?? - ?Wir haben uns natürlich nicht allein zu Tisch gesetzt, Marcolina und ich, so hungrig wir schon waren.? - ?Und werden Sie sich nun,? fragte Casanova, ?auch noch so lange gedulden, bis ich meine Kleider und mich selbst
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