Briefe aus der Schweiz | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
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Briefe aus der Schweiz--Zweite Abteilung by Johann Wolfgang von Goethe

Münster, den 3. October.
Sonntag Abends.
Von Basel erhalten Sie ein Paket, das die Geschichte unsrer bisherigen Reise enth?lt, indessen wir unsern Zug durch die Schweiz nun ernstlich fortsetzen.
Auf dem Wege nach Biel ritten wir das sch?ne Birsch-Thal herauf und kamen endlich an den engen Pa? der hierher führt.
Durch den Rücken einer hohen und breiten Gebirgkette hat die Birsch, ein m??iger Flu?, sich einen Weg von Uralters gesucht. Das Bedürfni? mag nachher durch ihre Schluchten ?ngstlich nachgeklettert sein. Die R?mer erweiterten schon den Weg, und nun ist er sehr bequem durchgeführt. Das über Felsstücke rauschende Wasser und der Weg gehen neben einander hin und machen an den meisten Orten die ganze Breite des Passes, der auf beiden Seiten von Felsen beschlossen ist, die ein gem?chlich aufgehobenes Auge fassen kann. Hinterw?rts heben Gebirge sanft ihre Rücken, deren Gipfel uns vom Nebel bedeckt waren. Bald steigen an einander h?ngende W?nde senkrecht auf, bald streichen gewaltige Lagen schief nach dem Flu? und dem Weg ein, breite Massen sind auf einander gelegt, und gleich daneben stehen scharfe Klippen abgesetzt. Gro?e Klüfte spalten sich aufw?rts, und Platten von Mauerst?rke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt. Einzelne Felsstücke sind herunter gestürzt, andere h?ngen noch über und lassen nach ihrer Lage fürchten, da? sie dereinst gleichfalls herein kommen werden. Bald rund, bald spitz, bald bewachsen, bald nackt, sind die Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl und kühn herüber sieht, und an W?nden und in der Tiefe schmiegen sich ausgewitterte Klüfte hinein.
Mir machte der Zug durch diese Enge eine gro?e ruhige Empfindung. Das Erhabene gibt der Seele die sch?ne Ruhe, sie wird ganz dadurch ausgefüllt, fühlt sich so gro? als sie sein kann. Wie herrlich ist ein solches reines Gefühl, wenn es bis gegen den Rand steigt ohne überzulaufen. Mein Auge und meine Seele konnten die Gegenst?nde fassen, und da ich rein war, diese Empfindung nirgends falsch widerstie?, so wirkten sie was sie sollten. Vergleicht man solch ein Gefühl mit jenem, wenn wir uns mühselig im Kleinen umtreiben, alles aufbieten, diesem so viel als m?glich zu borgen und aufzuflicken, und unserm Geist durch seine eigne Creatur Freude und Futter zu bereiten; so sieht man erst, wie ein armseliger Behelf es ist.
Ein junger Mann, den wir von Basel mitnahmen, sagte: es sei ihm lange nicht wie das erstemal, und gab der Neuheit die Ehre. Ich m?chte aber sagen: wenn wir einen solchen Gegenstand zum erstenmal erblicken, so weitet sich die ungewohnte Seele erst aus, und es macht die? ein schmerzlich Vergnügen, eine überfülle, die die Seele bewegt und uns wollüstige Thr?nen ablockt. Durch diese Operation wird die Seele in sich gr??er, ohne es zu wissen, und ist jener ersten Empfindung nicht mehr
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