Briefe an eine Freundin | Page 4

Wilhelm von Humboldt
in einer Zeit, worin so viele Briefe von vertrautem Inhalt erscheinen, die neben dem Interesse, das sie gew?hren, notwendig verletzen müssen und gerechten Tadel verdienen, ohne die Wahrhaftigkeit zu beweisen.
Die Herausgabe dieser Briefe ist wie von einem unsichtbaren Willen geleitet entstanden. Ich bewahrte viele Jahre meine k?stlichen, neidenswerten Briefsch?tze, schweigend, wie ein Heiligtum, und sah sie an wie eine unersch?pfliche Quelle h?heren Lebens, woraus ich lange Jahre Mut und Kraft sch?pfte und die Reife empfing, deren ich f?hig war, und nur auf diese Art teilhaftig werden konnte. Eigentlich bedurfte ich für meinen Geist keine weitere Nahrung, für mein Nachdenken keinen reicheren Stoff, für meine Belehrung kein anderes Buch, für meine Seele kein helleres Licht. Dabei fand ich in allen Lagen den Trost und die Ermutigung, die mir gerade n?tig waren. H?chst gütig lie? der edle Freund sich zu meiner Fassungskraft herab, so war er mir, worüber er auch reden mochte, immer verst?ndlich, klar und überzeugend. Wenn wir auch in manchen Meinungen verschieden waren, so ging diese Verschiedenheit aus ganz verschiedenen ?u?erlichkeiten des Lebens hervor. Immer aber blieb der Freund meiner Seele das leitende Prinzip meines geistigen Lebens; ich lebte von einem Brief bis zum andern mit ihm fort, und es bildete sich für mich, in einer mühe- und sorgenvollen Lage und bei untergrabener Gesundheit, ein reiches inneres Leben. Wenn ich mich immer mehr zurückzog, den Kreis meiner Freunde enger schlo?, folgte ich nur meiner tiefsten Neigung; Vergnügen und Freude, und meine stille Verborgenheit war, ungekannt und ungeahnt von jedermann, h?chst belebt und beseelt, ja beseligt, und war es allein durch diesen seelenvollen Briefwechsel, der nie wieder unterbrochen wurde, weder durch Reisen, noch durch Krankheiten, und bis in den Tod bestand. Dem mit mir übereinstimmenden Freunde war es eine besondere Befriedigung, da? ich so schweigend mein Heiligtum w?hrend eines halben Menschenalters bewahrte.
Die letzten Jahre meines Lebens gew?hrten mir wieder mehr Mu?e, so konnte ich mehr und tiefer in den Geist der Briefe, der in allen und jedem einzelnen weht, mich versenken und vertiefen, in diesen reichen, hocherleuchteten Geist, voll lauterer himmlischer Gesinnungen! Jahre habe ich mit diesen Briefen, und nur mit ihnen gelebt.
Oft vertieft in die Ideen des vollendeten Freundes und zugleich versenkt in Nachdenken über dies einzige Verh?ltnis und das, was dadurch für Zeit und Ewigkeit in mir gereift war, schien es mir nicht recht, da? so viel Wahres, Gro?es und Gutes mit mir untergehen sollte. Es war allerdings nur für mich geschrieben, für mich und meine Art zu empfinden berechnet, aber die überzeugenden Wahrheiten, so klar ausgesprochen, die sicheren Wege zu innerem Glück und Ruhe so unverkennbar, so klar und milde gezeigt, da? die Erkenntnis heilsam für jedes gutgeartete Gemüt sein mu?.
Und das alles sollte mit mir untergehen? mit mir zernichtet werden? --
Das war vielleicht die erste innere Aufforderung, das Segensreiche so oder anders zu erhalten!
Ich fing an Auszüge zu machen, um solche im Manuskript Freunden zu hinterlassen, und erkannte bald, wie verg?nglich solche Verm?chtnisse sind und wie schnell verlesen. So stiegen nach und nach Gründe auf, so wertvolle Papiere durch den Druck zu erhalten. Ein gro?es Hindernis trat mir entgegen: der Widerwille an aller ?ffentlichkeit. Was Freunden für mich hochehrend erschien, dünkte mir Entweihung. Ein zweites Hindernis war die Forderung einer strengen Durchsicht, selbst teilweise einer g?nzlichen Umschreibung der gemachten Auszüge. Schwierigkeiten aller Art entstanden. So waren, wie schon gesagt, Jahre n?tig, den Entschlu? der Ver?ffentlichung zu reifen. Auch kann diese erst nach meinem Ableben stattfinden. Die Zeit, die das Unbedeutende bald erbleichen l??t, verkl?rt das Gro?e und wird auch den hohen Wert der Gaben steigern, die ich denen hinterlasse, die sie verstehen, würdigen und gewi? mit Freuden empfangen.
Als heilige Pflicht erschien es mir nach dem gefa?ten Entschlu?, alle Auszüge selbst zu machen und eigenh?ndig zu schreiben. So sicherte ich Wahrheit und Treue auf einer Seite, indem ich auf der andern niemand verantwortlich machte. So kann ich aber nicht dafür einstehen, da? nicht Wiederholungen vorfallen. Ich bemerke dies im Vorbericht, um nicht sp?ter bei jedem einzelnen Fall daran zu erinnern. Ich bedarf gewi? Nachsicht und Verzeihung für solche Fehler, die ich begehen, ja nicht werde vermeiden k?nnen, da ich den Entschlu? der Herausgabe zu sp?t gefa?t habe, und keine fremde Hilfe erbitten noch zulassen will. Man ist wohl so gütig, wenn bei aller Sorgfalt Wiederholungen der Art vorfallen, solche Stellen zu überschlagen. Der Verfasser ist es ja allein, der Interesse erregt und gew?hrt, und was er schreibt, entsch?digt reichlich, wo mich Tadel trifft.
Von meinen Briefen ist, wie ich das gewünscht und erbeten hatte, nichts erhalten; nur von einzelnen habe ich Abschrift oder Fragmente bewahrt, um Ereignisse im Ged?chtnis festzuhalten, die mir selbst nicht entschwinden sollten. Dies werde ich als Zus?tze nachtragen, wo es n?tig ist.
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An den Freiherrn von Humboldt, K. Pr. Staats-Minister, auf dem Kongre? in Wien.
Nicht an Ew. Exzellenz, nicht an den Preu?ischen
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