Briefe an eine Freundin | Page 9

Wilhelm von Humboldt
Sie können mir, wenn Sie
fortfahren mir zu schreiben, wie Sie tun, mir von Ihrem äußern und
innern Leben zu erzählen, mit mir ohne Rückhalt so vertraulich
umzugehen, wie es Ihren ersten Empfindungen für mich entsprochen
hätte, eine Freude geben, die ich mit inniger und wahrer Dankbarkeit
empfangen werde. Schreiben Sie mir also ja von Zeit zu Zeit. Sie
schreiben natürlich und ausgezeichnet gut außerdem, und lassen Sie
mich die Kinderei gestehen, schon Ihre Hand macht mir Freude, sie ist
hübsch an sich, und ich erinnere mich ihrer von ehemals. Reden Sie mir
aber vor allem von sich selbst. Ihr letzter Brief enthält kaum ein Wort
über Ihre Gesundheit. Lassen Sie mich wissen, ob Ihre Kräfte, Ihr
gesundes Aussehen, Ihre Heiterkeit zunehmen. Dann muß ich Sie um
Eines bitten: Warten Sie nie eine Antwort ab, mir zu schreiben; seien
Sie großmütig, rechnen Sie nicht um Briefe mit mir. Ich habe sehr
wenig Zeit. Ich kann nur selten, nur abgerissen schreiben, geben Sie
mir, und fordern Sie nicht von mir. Sie finden vielleicht in dieser Bitte
mehr Freimütigkeit, als ich haben sollte. Aber ich leugne es nicht, daß
ich eigennützig mit Ihnen bin, und Sie haben eine zu gute Meinung von
mir, die ich gern zur Wahrheit herunterstimme.
Sie fragen mich, liebe Charlotte, ob Sie vorerst in Göttingen oder
Braunschweig leben sollen, und wollen nichts ohne meinen Willen tun.
Damit berühren Sie eine sonderbare Seite in mir. Ich habe es sehr gern,
wenn man meiner Bestimmung folgt. Ich will also, daß Sie nach

Göttingen gehen sollen, und nicht bloß aus Gefälligkeit für Sie, weil
Sie es vorziehen, sondern weil es mir lieber ist. Sie werden dies sehr
sonderbar finden und nicht erraten, was mich bestimmen mag. Auch
kann ich es Ihnen kaum recht erklären; allein es ist doch nun so, wäre
es auch nur, weil ich Sie von Göttingen aus sah, wie ich in
Braunschweig war, Sie nicht kannte, und in Göttingen sehr oft an Sie
dachte. Überhaupt liebe ich Göttingen, weil ich da in einer Zeit einsam
lebte, in der die Einsamkeit bildend ist. Grüßen Sie in meiner Seele den
Wall, und schreiben Sie mir, wenn Sie da sind, auch von den Menschen
dort.
Nun leben Sie wohl, teure Frau, und werden mir nicht wieder fremd. Es
ist ein wunderbares Verhältnis unter uns. Zwei Menschen, die sich vor
langen Jahren drei Tage sahen und schwerlich wieder sehen werden!
Aber es gibt in dieser Art der reinen und tiefen Freuden so wenige, daß
ich mich schämen würde, geizig mit dem Geständnis zu sein, daß Ihr
Bild von damals her, mit allen Gefühlen meiner Jugend, jener Zeit, und
selbst eines schöneren und einfacheren Zustandes Deutschlands und der
Welt, als der jetzige ist, innig in mir zusammenhängt. Ich habe überdies
eine große Liebe für die Vergangenheit. Nur was sie gewährt, ist ewig
und unveränderlich wie der Tod, und zugleich, wie das Leben, warm
und beglückend. Mit diesen unwandelbaren Gesinnungen Ihr H.

Burgörner, April 1822.
Es ist sehr lange, daß ich ohne Nachricht von Ihnen bin, es tut mir leid,
ja es schmerzt mich, so ganz von Ihnen vergessen zu sein, während ich
Ihrer oft gedachte. Schreiben Sie mir, liebe Charlotte, sobald Sie diese
Zeilen empfangen haben, wie es Ihnen ergangen hat und ergeht? Es
mahnte mich schon lange, Ihnen zu schreiben und um Nachricht zu
bitten. Vielleicht bin ich selbst schuld an Ihrem Schweigen. Meine
kurzen Briefe können Sie eingeschüchtert haben, Sie mochten besorgen,
mir lästig zu werden. Adressieren Sie Ihren Brief nach Burgörner bei
Eisleben; ich bin hier auf einem der Güter meiner Frau. Leben Sie wohl
und antworten mir gleich. H.

Burgörner, April 1822.
Ich lasse meinem kurzen Briefe, den ich Ihnen, liebe Charlotte, vor ein
paar Tagen schrieb, einen zweiten folgen. Einmal, weil ich sehr mich
nach Zeilen von Ihrer Hand sehne und es mir leid tut, daß ich so lange
schwieg; dann auch, um noch einen andern Weg einzuschlagen, damit
mein Brief sicher in Ihre Hände komme. Ich weiß Ihre Adresse nicht
genau, ja ich weiß nicht einmal, ob Sie noch in Kassel sind. Das aber
darf ich mit Zuversicht hoffen, daß Sie mich nicht vergessen haben. Ich
vergesse Sie nie. Ihr H.

Burgörner, den 3. Mai 1822.
Ich habe Ihre beiden lieben Briefe vom 24. und 26. April empfangen,
und sage Ihnen, liebste Charlotte, auf der Stelle meinen herzlichsten
Dank. Sie haben mich recht sehr dadurch erfreut und ganz meinen
Erwartungen entsprochen. Nie könnte ich irre an Ihnen werden oder
den Glauben an die Ausdauer und die Treue Ihrer Gesinnungen und
Empfindungen verlieren. Das sagte ich Ihnen schon neulich, und es ist
nur natürlich. Wenn uns jemand eine so lange Reihe von Jahren, ohne
irgend ein Zeichen des Andenkens empfangen zu haben, die tiefen
Empfindungen eines edlen und zarten Gemüts bewahrte, so wäre es
wahrer und hoher Undank,
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