Briefe an eine Freundin | Page 7

Wilhelm von Humboldt
einer anderen Welt an. Ich
habe das Glück, denn es ist wirklich nur ein Glück, daß ich mich keiner
Empfindung schämen darf, die ich in jener Jugend hegte, und glauben
Sie es mir, ich bin noch jetzt gleich einfach wie damals. Jedes Wort
Ihres Briefes hat mich auf das Tiefste ergriffen, ich versetze mich ganz
in Ihre Lage, und ich danke Ihnen recht aus innigem Herzen, daß Sie
den Glauben an mich nicht verloren, und daß Sie mich wert hielten,
sich mir, wie Sie es tun, zu erschließen. Schreiben Sie mir denn, wenn
Sie es der Mühe wert halten es ferner zu tun, ohne Umschweife und mit
dem Vertrauen, auf das ich vielleicht ein Recht erlangt hätte, wenn ich
Sie wiedergesehen hätte. Sehr Unrecht haben Sie, wenn Sie sagen, daß
gewisse Eindrücke im weiblichen Gemüt tiefer und länger haften. Ich
könnte Ihnen das Gegenteil aus Ihrem eigenen Briefe beweisen.
Gestehen Sie immer, es soll kein Vorwurf sein -- 26 Jahre liegen hinter
unserer kurzen Bekanntschaft, und wir sehen uns leider vermutlich nie
wieder --, daß ich ziemlich aus Ihrem Gedächtnis verschwunden bin,
wie ich Sie verließ. Sie haben sich wenigstens nicht an mein
Versprechen erinnert, Sie wieder zu besuchen, das nicht gehalten zu
haben mich oft sehr ernstlich geschmerzt hat. Ich könnte die Bank in
der Allee noch bezeichnen, wo ich es machte; ich war im Begriff, zu
Ihnen zu kommen, aber eine jugendliche Pedanterie, in der ich es für
unmöglich hielt, eine Woche später nach Göttingen zurückzukehren,
hielt mich davon ab. Es ist mir ein sicherer Beweis, daß wir einander
im Leben nicht nahe kommen sollten, und das Einzige, was mir innig

leid tut, ist, daß ich nicht bestimmt war, irgend dauernde Freude in Ihr
Leben zu bringen. Trübe oder schmerzliche Empfindungen konnten
sich, davon seien Sie sicher überzeugt, an den Umgang mit mir nicht
knüpfen. Es trifft mich kein Vorwurf dieser Art. Ihr Schicksal hat mich
so ergriffen, wie Sie es nach diesen Geständnissen sich denken können.
Ich habe es auch auf mannigfaltige Weise heut überlegt. Ich bitte Sie
aber, überlassen Sie sich für den Augenblick mir, folgen Sie blindlings
meinem Rat und glauben Sie dem, der mehr Welterfahrenheit hat als
Sie, und ebenso wie Sie weiß, was ein Gemüt in Ihrer Lage bedarf.
Setzen Sie aber dabei alle kleinlichen Rücksichten beiseite, seien Sie
wirklich vertrauend, seien Sie gut gegen mich, und erzeigen Sie mir
den größten Gefallen, den Sie mir erzeigen können. Was Sie in Ihrer
jetzigen Lage brauchen, Ihre Gesundheit und Ihr Herz, ist Ruhe. Die
ängstliche Sorge, die große Anstrengung für Ihre Erhaltung, untergräbt
beides. Sie waren, ich erinnere mich dessen noch sehr gut, gesund und
stark, Sie waren es, so scheint es, später wieder geworden. Bleiben Sie
ein Jahr nur ruhig und pflegen Ihre Gesundheit, so wird sie
wiederkehren, trotz der Stürme, die Sie bestanden haben. Dies ist
zugleich der beste Rat für Ihre übrigen Pläne. Glauben Sie mir, wer in
dem Augenblick suchen muß, wo er braucht, findet schwer. Wenn man
hingegen nur eine Zeit lang sorglos leben kann, finden sich die Lagen
von selbst. Welcher Ihrer Pläne ausführbar sein kann, muß die Zeit erst
lehren, ebenfalls was ich befördern kann. Ich halte es für Pflicht, Ihnen
darüber ganz offen zu reden. O! Sie hätten sehr unrecht, es mir übel zu
deuten. Die Briefe des Herzogs sind sehr gut und machen ihm Ehre,
aber er kann, wie Sie aus den Briefen Ihrer Freunde sehen, vorerst nicht
helfen. Diese Dinge müssen Sie also wenigstens der Zeit und dem
Schicksal überlassen. Erlauben Sie mir das Verdienst, Ihnen diese Zeit
zu verschaffen, gönnen Sie mir die Beruhigung zu wissen, daß Ihnen
jetzt ein Jahr ungetrübt von kleinen äußeren Sorgen verstrichen ist. Ja,
liebe Charlotte, ich bitte Sie inständig darum; verschmähen Sie mein
Anerbieten nicht. Es wäre innerlich die falscheste Delikatesse von der
Welt, und Sie können sicher sein, daß niemand je als ich und Sie darum
wissen wird. Ich bin nicht reich, aber ich weiß sehr gut, was ich tue,
und ich sehe aus Ihrem ganzen Brief und allen seinen Beilagen, daß Sie,
was meinen Gefallen an Ihrem Leben und meine wahre Achtung für Sie
vermehrt, sich an eine große Einfachheit von Bedürfnissen gewöhnt

haben. Ich lege Ihnen hier eine Anweisung ein. Ich begreife, daß dies
nur für Monate sein kann. Aber folgen Sie mir, schreiben Sie mir recht
vertraulich, recht ordentlich, was Sie, eine Badekur eingerechnet,
brauchen. Glauben Sie mir, daß ich nie mehr tue, als ich kann, geben
Sie es mir zurück, wenn Ihre Lage und Ihr Schicksal sich ändert, aber
begreifen Sie nur recht meinen Plan, der ganz einfach der ist, daß Sie
ein Jahr vor sich haben, für das Sie nicht zu sorgen brauchen, und in
dem Sie mit Freiheit und ohne Ängstlichkeit künftige Pläne bilden
können. Ich fühle recht gut dasjenige, dem ich
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 142
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.