Briefe an eine Freundin | Page 5

Wilhelm von Humboldt
um Ereignisse im Gedächtnis festzuhalten, die mir selbst nicht
entschwinden sollten. Dies werde ich als Zusätze nachtragen, wo es
nötig ist.
* * * * *
An den Freiherrn von Humboldt, K. Pr. Staats-Minister, auf dem
Kongreß in Wien.
Nicht an Ew. Exzellenz, nicht an den Preußischen Staatsminister, -- an
den unvergessenen, unvergeßlichen Jugendfreund schreibe ich, dessen
Bild ich eine lange Reihe von Jahren verehrend im Gemüt bewahrt, und
gern und viel dabei verweilt habe, der nie wieder von dem jungen
Mädchen hörte, das ihm einst begegnete, mit dem er drei fröhliche
Jugendtage verlebte in jenen schönen Gefühlen, die uns spät in
Erinnerung beseligen und erheben. Der Name, auf den die Welt jetzt
mit großen Erwartungen blickt, der Platz, auf den Sie früh durch Geist
und Namen gestellt waren, machte es mir nicht sehr schwer, von Ihnen

zu hören und Sie mit meinen Gedanken zu begleiten. Ich erfreute mich
an allem Großen und Schönen, was ich las oder hörte, nahm meinen
Anteil von dem Wahren und Guten, suchte den Sinn wie früher zu
verstehen, dem Geist zu folgen, wenn ich ihn nicht gleich faßte. Das
alles läßt sich nur durch Worte andeuten, aber nicht sagen. Nur einmal
Sie wiederzusehen, wäre es auch nur in der Ferne, war und blieb mir
ein vergeblicher Wunsch. Durch Freunde, welche kürzlich einige Zeit
in Berlin lebten, erfuhr ich ausführlicher, was ich schon wußte, daß Ew.
Exzellenz mit einer höchst geistreichen und ebenso edlen Dame sehr
glücklich vermählt und Vater sehr liebenswürdiger Kinder sind, welche
reiche Hoffnungen geben.
Ich lege hier ein Blättchen ein, das Ihnen drei in Pyrmont verlebte
Jugendtage zurückrufen wird. Ich habe das liebe Blättchen unter den
kleinen Heiligtümern der Jugend sorgfältig vor allen andern bewahrt,
als das einzige Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der einzigen
wahren Lebensfreude, die mir das Schicksal zugewogen. Dies
Blättchen (das ich mir zurück erbitten darf) wird Ew. Exzellenz eine
Bekanntschaft zurückrufen, welche die großen Bilder und
Erscheinungen des Lebens längst verwischt und ausgelöscht haben
werden. Im weiblichen Gemüte bleiben solche Eindrücke tiefer und
sind unwandelbar, um so mehr, wenn es (welche Bedenklichkeit sollte
ich finden, Ihnen nach 26 Jahren diesen Beweis von Verehrung zu
geben?) wie bei mir, die ersten, ungekannten Regungen erster,
erwachender Liebe waren, so geistiger Art, wie sie wohl bei der edleren
Jugend immer sind. Für die weibliche Jugend und die Entwickelung
des Charakters aber ist es gewiß von der höchsten Wichtigkeit, für
welchen Gegenstand die ersten Gefühle erwachen. Auch knüpften sich,
was selten ist, durchaus keine trüben oder schmerzlichen Gefühle daran,
sondern sie wurden von großem Einfluß auf die Ausbildung meines
Charakters und Gemüts.
Die Gefühle wandelte die Zeit. Das tief ins Gemüt gesenkte, teure Bild
erbleichte nie mehr. An dies geliebte Bild, das höher und immer höher
erschien, lehnte sich fort und fort mein Ideal von Männerwert und
Hoheit. Hier ruhte ich aus, wenn ich unter dem schweren Leben am
Erliegen war, hier ermutigte ich mich, wenn aller Mut sank, hier

richtete ich mich auf im Glauben, wenn der Glaube an Menschen
schwankte. Glauben Sie mir, ewig geliebter Freund! (Sie verzeihen
dem Herzen diese Benennung) ich bin gereift unter großem,
mannigfaltigem Schmerz, nicht entadelt, noch je durch unwürdige
Empfindungen entweiht. Ew. Exzellenz sind, das erkenne ich im
eigenen Busen, noch derselbe, der Sie waren, wie wir uns einst
begegneten. Die Höhe des Lebens, der Glanz der äußeren Stellung
mögen für viele Klippen sein -- hohe Naturen erlangen Reife und
Vollendung, gleich viel, ob im Sonnenstrahl des Glücks oder im
Schatten schwerer Verhängnisse. Der Gehalt in unserer Brust, wie die
Form unseres Geistes, beides ist gewiß ohne Wandel, beides ewig.
Wie es mir erging? was ich erlebte? das werden Sie jetzt fragen. Es ist
eine lange Reihe von Jahren, von der die Rede sein muß, dennoch läßt
sich viel auf ein Blatt bringen, aber das gibt kein Bild, wird Ihnen nicht
genug sein. So will ich suchen, Ihnen im äußeren Leben das innere in
seiner Tiefe und ernsten Entwickelung zu zeigen. Ob und wie ich mich
bemühen werde um Kürze, wird es doch einige Blätter füllen, die
Auswahl und Zusammenstellung kann nur schmerzlich sein, wenn man
sich in Gegenden umsieht, die gleichsam mit unsern Tränen benetzt
sind. Wenn ich daher mich nicht so kurz fassen kann, wie es Respekt
für die Person und die Zeit des mit den wichtigsten Arbeiten
beschäftigten Ministers gebietet, so vertrete mich bei diesem der
Jugendfreund. Legen Ew. Exzellenz die Blätter zurück für eine Stunde,
die den Erinnerungen gehört.
Die Zeit, bis wo wir uns kennen lernten, gehörte der ersten Jugend, und
diese war harmlos im stillen, friedlichen Schatten eines gebildeten,
sorgenlosen Familienlebens auf dem Lande hingeflossen. An teuern
Eltern hatte ich nur Rechtschaffenheit und Güte und Beispiele vieler
Tugenden gesehen. Ein mehr als ausreichendes Vermögen erlaubte
ihnen in jener einfachen Zeit viele Annehmlichkeiten des Lebens,
besonders auch
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