Ausgewaehlte Schriften | Page 6

Heinrich von Kleist
der Hand, umhergelaufen w?ren, und geschrieen h?tten: das Ende der Welt sei da! wie man einer Wache, die auf Befehl des Vizek?nigs verlangte, eine Kirche zu r?umen, geantwortet h?tte: es g?be keinen Vizek?nig von Chili mehr! wie der Vizek?nig in den schrecklichsten Augenblicken h?tte m��ssen Galgen aufrichten lassen, um der Dieberei Einhalt zu tun; und wie ein Unschuldiger, der sich von hinten durch ein brennendes Haus gerettet, von dem Besitzer aus ��bereilung ergriffen, und sogleich auch aufgekn?pft worden w?re.
Donna Elvire, bei deren Verletzungen Josephe viel besch?ftigt war, hatte in einem Augenblick, da gerade die Erz?hlungen sich am lebhaftesten kreuzten, Gelegenheit genommen, sie zu fragen: wie es denn ihr an diesem f��rchterlichen Tag ergangen sei? Und da Josephe ihr, mit beklemmtem Herzen, einige Hauptz��ge davon angab, so ward ihr die Wollust, Tr?nen in die Augen dieser Dame treten zu sehen; Donna Elvire ergriff ihre Hand, und dr��ckte sie, und winkte ihr, zu schweigen. Josephe d��nkte sich unter den Seligen. Ein Gef��hl, das sie nicht unterdr��cken konnte, nannte den verflo?nen Tag, so viel Elend er auch ��ber die Welt gebracht hatte, eine Wohltat, wie der Himmel noch keine ��ber sie verh?ngt hatte. Und in der Tat schien, mitten in diesen gr??lichen Augenblicken, in welchen alle irdischen G��ter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur versch��ttet zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine sch?ne Blume, aufzugehn. Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man Menschen von allen St?nden durcheinander liegen, F��rsten und Bettler, Matronen und B?uerinnen, Staatsbeamte und Tagel?hner, Klosterherren und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig H��lfe reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Ungl��ck alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht h?tte.
Statt der nichtssagenden Unterhaltungen, zu welchen sonst die Welt an den Teetischen den Stoff hergegeben hatte, erz?hlte man jetzt Beispiele von ungeheuern Taten: Menschen, die man sonst in der Gesellschaft wenig geachtet hatte, hatten R?mergr??e gezeigt; Beispiele zu Haufen von Unerschrockenheit, von freudiger Verachtung der Gefahr, von Selbstverleugnung und der g?ttlichen Aufopferung, von unges?umter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem nichtsw��rdigsten Gute gleich, auf dem n?chsten Schritte schon wiedergefunden w��rde. Ja, da nicht einer war, f��r den nicht an diesem Tage etwas R��hrendes geschehen w?re, oder der nicht selbst etwas Gro?m��tiges getan h?tte, so war der Schmerz in jeder Menschenbrust mit so viel s��?er Lust vermischt, da? sich, wie sie meinte, gar nicht angeben lie?, ob die Summe des allgemeinen Wohlseins nicht von der einen Seite um ebenso viel gewachsen war, als sie von der anderen abgenommen hatte.
Jeronimo nahm Josephen, nachdem sich beide in diesen Betrachtungen stillschweigend ersch?pft hatten, beim Arm, und f��hrte sie mit unaussprechlicher Heiterkeit unter den schattigen Lauben des Granatwaldes auf und nieder. Er sagte ihr, da? er, bei dieser Stimmung der Gem��ter und dem Umsturz aller Verh?ltnisse, seinen Entschlu?, sich nach Europa einzuschiffen, aufgebe; da? er vor dem Vizek?nig, der sich seiner Sache immer g��nstig gezeigt, falls er noch am Leben sei, einen Fu?fall wagen w��rde; und da? er Hoffnung habe (wobei er ihr einen Ku? aufdr��ckte), mit ihr in Chili zur��ckzubleiben. Josephe antwortete, da? ?hnliche Gedanken in ihr aufgestiegen w?ren; da? auch sie nicht mehr, falls ihr Vater nur noch am Leben sei, ihn zu vers?hnen zweifle; da? sie aber statt des Fu?falles lieber nach La Conception zu gehen, und von dort aus schriftlich das Vers?hnungsgesch?ft mit dem Vizek?nig zu betreiben rate, wo man auf jeden Fall in der N?he des Hafens w?re, und f��r den besten, wenn das Gesch?ft die erw��nschte Wendung n?hme, ja leicht wieder nach St. Jago zur��ckkehren k?nnte. Nach einer kurzen ��berlegung gab Jeronimo der Klugheit dieser Ma?regel seinen Beifall, f��hrte sie noch ein wenig, die heitern Momente der Zukunft ��berfliegend, in den G?ngen umher, und kehrte mit ihr zur Gesellschaft zur��ck.
Inzwischen war der Nachmittag herangekommen, und die Gem��ter der herumschw?rmenden Fl��chtlinge hatten sich, da die Erdst??e nachlie?en, nur kaum wieder ein wenig beruhigt, als sich schon die Nachricht verbreitete, da? in der Dominikanerkirche, der einzigen, welche das Erdbeben verschont hatte, eine feierliche Messe von dem Pr?laten des Klosters selbst gelesen werden w��rde, den Himmel um Verh��tung ferneren Ungl��cks anzuflehen.
Das Volk brach schon aus allen Gegenden auf, und eilte in Str?men zur Stadt. In Don Fernandos Gesellschaft ward die Frage aufgeworfen, ob man nicht auch an dieser Feierlichkeit Teil nehmen, und sich dem allgemeinen Zuge anschlie?en solle? Donna Elisabeth erinnerte, mit einiger Beklemmung, was f��r ein Unheil gestern in der Kirche vorgefallen sei; da? solche Dankfeste ja wiederholt werden w��rden, und da? man sich der Empfindung alsdann, weil die Gefahr schon mehr vor��ber w?re, mit desto gr??erer Heiterkeit und Ruhe ��berlassen k?nnte. Josephe ?u?erte, indem sie mit einiger Begeisterung sogleich aufstand, da? sie den Drang, ihr Antlitz vor dem Sch?pfer in den Staub zu legen, niemals lebhafter empfunden habe, als eben jetzt,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 118
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.