Ausgewaehlte Schriften | Page 2

Heinrich von Kleist
Zimmer aufschlagen und erharrte, ohne zu
schlafen, die Mitternacht. Aber wie erschüttert war er, als er in der Tat
mit dem Schlage der Geisterstunde das unbegreifliche Geräusch
wahrnahm; es war, als ob ein Mensch sich von Stroh, das unter ihm
knisterte, erhob, quer über das Zimmer ging, und hinter dem Ofen unter
Geseufz und Geröchel niedersank. Die Marquise, am andern Morgen,
da er herunterkam, fragte ihn, wie die Untersuchung abgelaufen; und da
er sich mit scheuen und ungewissen Blicken umsah und, nachdem er
die Tür verriegelt, versicherte, daß es mit dem Spuk seine Richtigkeit
habe: so erschrak sie, wie sie in ihrem Leben nicht getan und bat ihn,
bevor er die Sache verlauten ließe, sie noch einmal in ihrer Gesellschaft
einer kaltblütigen Prüfung zu unterwerfen. Sie hörten aber samt einem
treuen Bedienten, den sie mitgenommen hatten, in der Tat in der
nächsten Nacht dasselbe unbegreifliche, gespensterartige Geräusch;
und nur der dringende Wunsch, das Schloß, es koste was es wolle,
loszuwerden, vermochte sie, das Entsetzen, das sie ergriff, in
Gegenwart ihres Dieners zu unterdrücken und dem Vorfall irgendeine
gleichgültige und zufällige Ursache, die sich entdecken lassen müsse,
unterzuschieben. Am Abend des dritten Tages, da beide, um der Sache

auf den Grund zu kommen, mit Herzklopfen wieder die Treppe zu dem
Fremdenzimmer bestiegen, fand sich zufällig der Haushund, den man
von der Kette losgelassen hatte, vor der Tür desselben ein; dergestalt
daß beide, ohne sich bestimmt zu erklären, vielleicht in der
unwillkürlichen Absicht, außer sich selbst noch etwas Drittes,
Lebendiges, bei sich zu haben, den Hund mit sich in das Zimmer
nahmen. Das Ehepaar, zwei Lichter auf dem Tisch, die Marquise
unausgezogen, der Marchese Degen und Pistolen, die er aus dem
Schrank genommen, neben sich, setzen sich gegen elf Uhr jeder auf
sein Bett; und während sie sich mit Gesprächen, so gut sie vermögen,
zu unterhalten suchen, legt sich der Hund, Kopf und Beine
zusammengekauert, in der Mitte des Zimmers nieder und schläft ein,
Drauf, in dem Augenblick der Mitternacht, läßt sich das entsetzliche
Geräusch wieder hören; jemand, den kein Mensch mit Augen sehen
kann, hebt sich auf Krücken im Zimmerwinkel empor; man hört das
Stroh, das unter ihm rauscht; und mit dem ersten Schritt: tapp! tapp!
erwacht der Hund, hebt sich plötzlich, die Ohren spitzend, vom Boden
empor, und knurrend und bellend, grad' als ob ein Mensch auf ihn
eingeschritten käme, rückwärts gegen den Ofen weicht er aus. Bei
diesem Anblick stürzt die Marquise mit sträubenden Haaren aus dem
Zimmer; und während der Marchese, der den Degen ergriffen: "Wer
da?" ruft, und, da ihm niemand antwortet, gleich einem Rasenden nach
allen Richtungen die Luft durchhaut, läßt sie anspannen, entschlossen,
augenblicklich nach der Stadt abzufahren. Aber ehe sie noch nach
Zusammenraffung einiger Sachen aus dem Tore herausgerasselt, sieht
sie schon das Schloß ringsum in Flammen aufgehen. Der Marchese,
von Entsetzen überreizt, hatte eine Kerze genommen und dasselbe,
überall mit Holz getäfelt wie es war, an allen vier Ecken, müde seines
Lebens, angesteckt. Vergebens schickte sie Leute hinein, den
Unglücklichen zu retten; er war auf die elendiglichste Weise bereits
umgekommen; und noch jetzt liegen, von den Landleuten
zusammengetragen, seine weißen Gebeine in dem Winkel des Zimmers,
von welchem er das Bettelweib von Locarno hatte aufstehen heißen.

Das Erdbeben in Chili

In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem
Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher
viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein
Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem
Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und
wollte sich erhenken. Don Henrico Asteron, einer der reichsten
Edelleute der Stadt, hatte ihn ungefähr ein Jahr zuvor aus seinem Hause,
wo er als Lehrer angestellt war, entfernt, weil er sich mit Donna
Josephe, seiner einzigen Tochter, in einem zärtlichen Einverständnis
befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem alten Don, nachdem
er die Tochter nachdrücklich gewarnt hatte, durch die hämische
Aufmerksamkeit seines stolzen Sohnes verraten worden war, entrüstete
ihn dergestalt, daß er sie in dem Karmeliterkloster unsrer lieben Frauen
vom Berge daselbst unterbrachte.
Durch einen glücklichen Zufall hatte Jeronimo hier die Verbindung von
neuem anzuknüpfen gewußt, und in einer verschwiegenen Nacht den
Klostergarten zum Schauplatze seines vollen Glückes gemacht. Es war
am Fronleichnamsfeste, und die feierliche Prozession der Nonnen,
welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren Anfang, als die
unglückliche Josephe, bei dem Anklange der Glocken, in Mutterwehen
auf den Stufen der Kathedrale niedersank.
Dieser Vorfall machte außerordentliches Aufsehn; man brachte die
junge Sünderin, ohne Rücksicht auf ihren Zustand, sogleich in ein
Gefängnis, und kaum war sie aus den Wochen erstanden, als ihr schon,
auf Befehl des Erzbischofs, der geschärfteste Prozeß gemacht ward.
Man sprach in der Stadt mit einer so großen Erbitterung von diesem
Skandal, und die Zungen fielen so scharf über das ganze Kloster her, in
welchem er sich zugetragen hatte, daß weder
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