Ausgewaehlte Schriften | Page 3

Heinrich von Kleist
sie bedrohte, mildern konnte. Alles, was geschehen konnte, war, da? der Feuertod, zu dem sie verurteilt wurde, zur gro?en Entrüstung der Matronen und Jungfrauen von St. Jago, durch einen Machtspruch des Vizek?nigs, in eine Enthauptung verwandelt ward.
Man vermietete in den Stra?en, durch welche der Hinrichtungszug gehen sollte, die Fenster, man trug die D?cher der H?user ab, und die frommen T?chter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Schauspiele, das der g?ttlichen Rache gegeben wurde, an ihrer schwesterlichen Seite beizuwohnen.
Jeronimo, der inzwischen auch in ein Gef?ngnis gesetzt worden war, wollte die Besinnung verlieren, als er diese ungeheure Wendung der Dinge erfuhr. Vergebens sann er auf Rettung: überall, wohin ihn auch der Fittig der vermessensten Gedanken trug, stie? er auf Riegel und Mauern, und ein Versuch, die Gitterfenster zu durchfeilen, zog ihm, da er entdeckt ward, eine nur noch engere Einsperrung zu. Er warf sich vor dem Bildnisse der heiligen Mutter Gottes nieder, und betete mit unendlicher Inbrunst zu ihr, als der einzigen, von der ihm jetzt noch Rettung kommen k?nnte.
Doch der gefürchtete Tag erschien, und mit ihm in seiner Brust die überzeugung von der v?lligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Die Glocken, welche Josephen zum Richtplatz begleiteten, ert?nten, und Verzweiflung bem?chtigte sich seiner Seele. Das Leben schien ihm verha?t, und er beschlo?, sich durch einen Strick, den ihm der Zufall gelassen hatte, den Tod zu geben. Eben stand er, wie schon gesagt, an einem Wandpfeiler und befestigen den Strick, der ihn dieser jammervollen Welt entrei?en sollte, an eine Eisenklammer, die an dem Gesimse derselben eingefugt war; als pl?tzlich der gr??te Teil der Stadt, mit einem Gekrache, als ob das Firmament einstürzte, versank, und alles, was Leben atmete, unter seinen Trümmern begrub. Jeronimo Rugera war starr vor Entsetzen; und gleich als ob sein ganzes Bewu?tsein zerschmettert worden w?re, hielt er sich jetzt an dem Pfeiler, an welchem er hatte sterben wollen, um nicht umzufallen. Der Boden wankte unter seinen Fü?en, alle W?nde des Gef?ngnisses rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Stra?e zu einzustürzen, und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des gegenüberstehenden Geb?udes verhinderte, durch eine zuf?llige W?lbung, die g?nzliche Zubodenstreckung desselben. Zitternd, mit str?ubenden Haaren, und Knieen, die unter ihm brechen wollten, glitt Jeronimo über den schiefgesenkten Fu?boden hinweg, der ?ffnung zu, die der Zusammenschlag beider H?user in die vordere Wand des Gef?ngnisses eingerissen hatte.
Kaum befand er sich im Freien, als die ganze, schon erschütterte Stra?e auf eine zweite Bewegung der Erde v?llig zusammenfiel. Besinnungslos, wie er sich aus diesem allgemeinen Verderben retten würde, eilte er, über Schutt und Geb?lk hinweg, indessen der Tod von allen Seiten Angriffe auf ihn machte, nach einem der n?chsten Tore der Stadt. Hier stürzte noch ein Haus zusammen, und jagte ihn, die Trümmer weit umherschleudernd, in eine Nebenstra?e; hier leckte die Flamme schon, in Dampfwolken blitzend, aus allen Giebeln, und trieb ihn schreckenvoll in eine andere; hier w?lzte sich, aus seinem Gestade gehoben, der Mapochoflu? auf ihn heran, und ri? ihn brüllend in eine dritte. Hier lag ein Haufen Erschlagener, hier ?chzte noch eine Stimme unter dem Schutte, hier schrieen Leute von brennenden D?chern herab, hier k?mpften Menschen und Tiere mit den Wellen, hier war ein mutiger Retter bemüht, zu helfen; hier stand ein anderer, bleich wie der Tod, und streckte sprachlos zitternde H?nde zum Himmel. Als Jeronimo das Tor erreicht, und einen Hügel jenseits desselben bestiegen hatte, sank er ohnm?chtig auf demselben nieder.
Er mochte wohl eine Viertelstunde in der tiefsten Bewu?tlosigkeit gelegen haben, als er endlich wieder erwachte, und sich, mit nach der Stadt gekehrtem Rücken, halb auf dem Erdboden erhob. Er befühlte sich Stirn und Brust, unwissend, was er aus seinem Zustande machen sollte, und ein uns?gliches Wonnegefühl ergriff ihn, als ein Westwind, vom Meere her, sein wiederkehrendes Leben anwehte, und sein Auge sich nach allen Richtungen über die blühende Gegend von St. Jago hinwandte. Nur die verst?rten Menschenhaufen, die sich überall blicken lie?en, beklemmten sein Herz; er begriff nicht, was ihn und sie hiehergeführt haben konnte, und erst, da er sich umkehrte, und die Stadt hinter sich versunken sah, erinnerte er sich des schrecklichen Augenblicks, den er erlebt hatte. Er senkte sich so tief, da? seine Stirn den Boden berührte, Gott für seine wunderbare Errettung zu danken; und gleich, als ob der eine entsetzliche Eindruck, der sich seinem Gemüt eingepr?gt hatte, alle früheren daraus verdr?ngt h?tte, weinte er vor Lust, da? er sich des lieblichen Lebens, voll bunter Erscheinungen, noch erfreue.
Drauf, als er eines Ringes an seiner Hand gewahrte, erinnerte er sich pl?tzlich auch Josephens, und mit ihr seines Gef?ngnisses, der Glocken, die er dort geh?rt hatte, und des Augenblicks, der dem Einsturze desselben vorangegangen war. Tiefe Schwermut erfüllte wieder seine Brust; sein Gebet fing ihn zu reuen an, und fürchterlich schien ihm das Wesen, das über den Wolken waltet. Er mischte sich unter das Volk, das überall, mit Rettung
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