Aus der Chronika eines fahrenden Schnlers | Page 7

Clemens Brentano
Keiner aber hat dieses wohl erlebet, keiner hat einem solchen Werke seiner Erfindung die Krone aufgesetzet, ganze Geschlechter sind von den Baugerüsten herabgestiegen und haben sich zu Ruhe in die Gr?ber zu den Fü?en des Turmes gelegt, der nichts davon wei?, und dasteht ernst und steinern, der kein Herz und keinen Verstand hat, ja eigentlich ein recht unvernünftiger Turm ist, und doch dasteht, als w?re er aus sich selbst hervorgewachsen und brauche es keinem Menschen zu danken. Dieser gewaltige Ausdruck der Erhabenheit aber in einem solchen Werke, an welchem die Weisheit und Mühe und Andacht von Jahrhunderten an unendlichen Linien des Gesetzes, des Verh?ltnisses, der Not und der Zier mit halsbrechender Kühnheit hinangeklommen, um auf dem Gipfel dem Herrn zu lobsingen, verbunden mit seinem eigentlichen inneren Tode, so da? er, der alles durch sein Dasein im tiefsten Herzen rühret, doch gar nichts davon mitempfindet, das ist es, was seinem Anblick und der Erscheinung aller gewaltigen Menschenwerke einen Schrecken beimischet. Es ist, als frage er: Was bin ich, und warum bin ich, und was ist es, das dich also rühret in mir? Was k?nnen wir ihm aber anderes antworten als: Die Werke des Herrn sind unbegreiflich, er treibt uns, zu bauen und schaffen über das Leben hinaus, denn wir waren unsterblich und vollkommen, und wir sind gefallen in den Tod durch die Sünde; du Turm aber stehe, als ein Zeuge, da? wir dunkel fühlen, was wir waren vor dieser Zeit, und da? wir noch ringen nach unendlichem Ziel; so stehe du dann als ein Tr?ger unsrer Mühe und unsrer Bu?e zu Ehren unsres Heilands und Seligmachers Jesu Christi, der uns erl?set hat durch sein bittres Leiden und Sterben. Amen.
Also gedachte ich in mir, und wenngleich umgeben von lebenden B?umen und Blumen, in welchen, wie selbst in den harten Felsen, eine Seele zu wohnen scheint, welche mit dem Menschen atmet und fühlet, im Frühling sich mit ihm freuet, und im Winter mit ihm trauert, konnte ich doch meine Augen nicht von dem Turme wenden. Der Sinn des Menschen strebet immer nach dem Unbegreiflichen, als sei dort das Ziel der Laufbahn und der Schlüssel des Himmels; denn bewundern kann der Mensch allein, und alles Bewunderung Erregende ist ein Bote Gottes, der uns mahnet an das Licht, das wir verloren, und das uns wieder verhei?en ist durch das Blut Christi, so wir uns dessen teilhaftig machen. Also ist mir auch immer alle meine Drangsal erschienen als eine Sehnsucht nach einem bessern Leben, und alle meine bittern Stunden waren nur die kalten, stürmenden Tage des Winters, denen der liebliche Frühling, angekleidet mit Blumen und Gesang, folget, so ich s?e guten Samen und fülle meine Seele mit dem Lobe Gottes.
In solchen Betrachtungen wollte ich wieder nach dem Sommerh?uslein gehn, sah aber meinen gn?digen Herrn und Ritter gar tiefsinnig mit gefalteten H?nden unter einem Baume im Sonnenschein sitzen, und traute nicht, ihm vorüberzugehen, damit ich ihn nicht st?re. Ich stellte mich darum in seiner N?he bescheidentlich an die Laubwand, und nahm mein Barett in die H?nde, erwartend, ob er seine Augen vielleicht nach mir wenden m?ge.
Der Anblick meines Herrn erweckte eine gro?e Ehrfurcht in mir. Ich hatte ihn gestern nicht recht gesehen, denn es dunkelte schon, da er mich am Wege barmherzig zu sich nahm. Er hatte ein schneewei?es Haar am Haupt und Bart, und mochten wohl viele Sorgen über ihn hingeflogen sein. Ich erinnerte mich, nie einen so frommen alten Ritter gesehen zu haben, der mit seinem ernsten und milden Antlitz ein solches Vertrauen in mein Herz senkte. Gott gebe, da? ich also in Ehren grau werden m?ge! dachte ich bei mir und fühlte mich mit ganzer Seele zu dem lieben Herrn hingezogen. Er aber schien sehr betrübt zu sein, seufzte auch oft und tief, und die kleinen V?glein, die über ihm in dem Baume so lustig sangen, konnten ihn nicht tr?sten.
Da ich so eine Weile nach ihm hingesehen hatte, wendete er die Augen zuf?llig zu dem Orte, an dem ich stand, und redete mich freundlich an mit den Worten: "Wie ist dir, Johannes, da? du so stille dastehest?" Worauf ich ihm entgegnete: "Ich wollte Eure Ruhe nicht st?ren, Herr; Ihr scheinet mir in schweren Gedanken."
Der Ritter aber sprach hierauf: "Johannes, wie gef?llt dir deine neue Heimat; bist du zufrieden bei mir?"
Da sagte ich: "Herr, sollte ich nicht froh sein? Da ich nun wei?, wo schlafen und wo Brot finden und wem dienen um des Herren willen, da wei? ich nun auch, wen lieben, wem danken au?er Gott, und für wen beten au?er für mich. Herr, meine neue Heimat gef?llt mir wohl; Gott gebe, da? ich auch ihr wohlgefalle, und ihrer würdig werde." Da l?chelte der Ritter und sprach: "Johannes, wenn dir deine Worte ernst sind, so werden wir gute Gesellen sein, denn deine Rede gef?llt mir wohl. Aber was willst du tun, mir wohlzugefallen; was
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