Aus der Chronika eines fahrenden Schnlers | Page 4

Clemens Brentano
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ETEXTS*Ver.10/04/01*END*

Aus der Chronika eines fahrenden Schülers (Zweite Fassung)
Clemens Brentano

Vorwort

Vor funfzehn Jahren machte es mir Freude, die folgende einfache
Geschichte niederzuschreiben. Sie sollte nur die Einfassung mehrerer
schöner altdeutschen Erzählungen sein, die sie mit mancherlei
Ereignissen aus dem Zusammenleben des alten Ritters Veltlin von
Türlingen und seiner drei Töchter unterbricht, mit deren Versorgung
und der Abreise des Erzählers sie schließt. So lieb ich das Gedicht hatte,
blieb es doch unterbrochen; der Sinn der Leser schien dazu zu fehlen.
Jetzt, da diese Erzählung mehr, ja selbst die altdeutschen Röcke vor
sich hat, fiel sie mir wieder in die Hände, und ich versuche es, sie den
Lesern vorzulegen mit der Erinnerung, daß sie zu pädagogischen
Zwecken entworfen worden, als ich von der sogenannten Romantik
noch wenig wußte, und daß sie daher neben den allerneuesten
Ritterromandichtern in ihrer redseligen Einfalt um Schonung bittet.
Sollte dem Leser, durch Eisenfresserei und Isländisches Moos
verwöhnt, diese Geschichte wie unsre deutsche Kamillen--und
Hollunderblüte nicht behagen, so bringe er sie einem kranken Freunde
oder Mägdelein, denen sie Gott gesegnen möge!

Im Jahr, da man zählte nach Christi, unsers lieben Herrn, Geburt 1358,
am zwanzigsten Tage des Maimonats, hörte ich, Johannes, der
Schreiber, die Schwalbe in der Frühe an meinem Kammerfenster
singen und ward innigst von dem Morgenlied des frommen Vögeleins
erbauet, bedachte auch auf meinem Bettlein, wie die Schwalbe in
daurender Freude lebet, gegen den Winter in ferne wärmere Länder
ziehet und, der Heimat getreu, gegen den Frühling wiederkehrt; also
nicht der Mensch, der arme fahrende Schüler, der wohl viel gegen
Sturm und Wetter ziehen muß, ja der oft kein Feuer findet, die
erstarrten Hände zu erwärmen, daß er sie falte zum Gebet; aber so er es
ernstlich meinet, haucht er hinein.
Da ich in solchen Betrachtungen versunken war und das Schwälblein
auch auf seine Weise fortphantasierte, wäre ich schier wieder
eingeschlummert, aber der Wächter auf dem Münster blies: "In süßen
Freuden geht die Zeit", welches ich hier noch nie gehöret; denn ich war
zum ersten Male in Straßburg erwacht.
Nun richtete ich mich in meinem Bettlein auf, und schaute in meinem
Gemache umher; das hatte aber Fenster rings herum und war in einem
Sommerhäuslein des Gartens. Links stand der Mond noch blaß am

Himmel, und rechts war der Himmel wie das lauterste Gold. Da fand
ich mich zwischen Nacht und Tag und faltete die Hände, und es fiel mir
freudig aufs Herz, daß heute mein zwanzigster Geburtstag sei, und wie
mir es viel besser geworden als in dem letzten Jahre, da ich meinen
lieben Geburtstag auf freiem Felde in einem zerrissenen Mäntelein
empfangen und mit einem Bissen Almosenbrot bewirten mußte. O
Freude und Ehre! dachte ich bei mir selbst und schaute zum
Morgenlichte hin und sprach: "Du bist mein Licht, du wirst mein Tag!",
glaubte auch schier in meiner Einfalt, der Himmel sei golden um
meines Besten willen, die Schwalbe habe nur gesungen, mir Glück zu
wünschen, und der Türmer habe allein so lieblich geblasen mir zur
Feier; da der Himmel sich doch nur gerötet vor der Sonne, die der Herr
gerufen, da die Schwalbe doch nur gesungen in Gottes Frühlingslust,
und der Wächter nur geblasen zu Gottes Ehren, ja wohl gern noch ein
Stündlein geschlafen hätte, so es ihm von den Münsterherren verstattet
wäre. Also wird der Mensch leicht übermütig in der Freude, und
glaubet, er sei recht der Mittelpunkt aller Dinge, und sei er mit allem
gemeint. Da ließ ich die Augen fröhlich in der Kammer
umherschweifen, und sah auf dem Schemel ein neues Gewand liegen,
das mir mein gütiger Herr und Ritter Veltlin von Türlingen am Abend
im Dunkeln hatte herauftragen lassen, und konnte ich meine Begierde
nun nicht länger zurückhalten, sprang auf von meinem Lager, und legte
diese Kleider nicht ohne Tränen des Dankes an. Es war dies aber ein
feines blaues Wams, um die Lenden gefaltet und gestutzet, und rot und
weißes Beinkleid von ländschem Tuch, auch stumpfe Schuh und eine
schwarze Kogel mit einer blauen Feder, nicht zu vergessen ein Hemmet
von weißem Hauslinnen, am Halse bunt genäht und gekrauset,
dergleichen ich vorher nie getragen. Da ward es mir fast leicht und
fröhlich zumute, und hätte ich wohl mögen einen Sprung tun, als hätte
ich einen neuen Menschen angezogen mit dem neuen Kleide.
Aber meine Hoffart währte nicht lange; denn mein zerrissenes
Mäntelein, welches ich als einen Vorhang vor das Fenster gehängt hatte,
erleuchtete sich durch die aufgehende Sonne, und alle seine Löcher
waren so viele Mäuler und alle seine Fetzen so viele Zungen, die mich
meiner törichten Hoffart zeihten. Es war, als sage das Mäntelein zu mir:
"O Johannes, bist du ein so eitler Kaufherr, daß du, angelanget in den
Hafen, des zerrissenen Segels vergißt, das dich in denselben geführet?

Johannes, bist du ein
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