Auf dem Staatshof | Page 6

Theodor W. Storm
sei als die halberloschenen Tapeten und etwa in dem einen Seitenzimmer das leere Bettgestell der verstorbenen Besitzer. Wenn wir zu lange blieben, rief die Alte uns wohl herunter und schickte uns in den Garten, der vor dem Hause lag. Aber die Einsamkeit, die oben in den verlassenen Zimmern herrschte, war auch dort. Wohin man sehen mochte, zwischen den hohen Str?uchern hing das Gespinst der Jungfernrebe; ��ber den mit Gras bewachsenen Steigen in den rot bl��henden Himbeerb��schen hatten die Wespen ihre pappenen Nester aufgehangen. Obwohl seit Jahren keine pflegende Hand dort gewaltet, so wuchs doch alles in der gr??ten ��ppigkeit durcheinander, und mittags in der schw��len Sommerzeit, wenn Jasmin und Kaprifolien bl��hten, lag die alte Heuberg wie im Duft begraben.--Anne Lene und ich drangen gern aufs Geratewohl in diesen Bl��tenwald hinein, um uns den Reiz eines gefahrlosen Irregehens zu verschaffen; und nicht selten gl��ckte es, da? wir uns nach der feuchten Laube im Winkel des Gartens hinzuarbeiten meinten und statt dessen unerwartet vor dem alten Pavillon standen, welcher jetzt zur zeitweisen Aufbewahrung von Sommerfr��chten diente. Dann sahen wir durch die erblindeten Fensterscheiben nach dem z?rtlichen Sch?ferpaar hin��ber, das noch immer, wie vor Jahren, auf der Mitte der Wand im Grase kniete, und r��ttelten vergebens an den T��ren, welche von der alten Wieb sorgf?ltig verschlossen gehalten wurden; denn der Fu?boden drinnen war unsicher geworden, und hier und dort konnte man durch die Ritzen in den Dielen auf das darunter stehende Wasser sehen.
So verging die Zeit.--Anne Lene war, ehe ich mich dessen versehen, ein erwachsenes M?dchen geworden, w?hrend ich noch kaum zu den jungen Menschen z?hlte. Ich bemerkte dies eigentlich erst, als sie eines Tages mit ver?nderter Frisur ins Zimmer trat. Seitdem sie selbst f��r ihre Kleidung sorgte, war diese fast noch einfacher als zuvor; besonders liebte sie die wei?e Farbe, so da? mir diese in der Erinnerung von der Vorstellung ihrer Pers?nlichkeit fast unzertrennbar geworden ist. Nur einen Luxus trieb sie; sie trug immer die feinsten englischen Handschuhe, und da sie dessenungeachtet sich nicht scheute, ��berall damit hinzufassen, mu?te das getragene Paar bald durch ein neues ersetzt werden. Meine b��rgerlich sparsame Mutter sch��ttelte vergebens dar��ber den Kopf. Aus dem nachgelassenen Schmuckk?stchen ihrer Gro?mutter nahm sie an ihrem Konfirmationstage ein kleines Kreuz von Diamanten, das sie seitdem an einem schwarzen Bande um den Hals trug. Sonst habe ich niemals einen Schmuck an ihr gesehen.

Die Zeit r��ckte heran, wo ich zum Studium der Arzneiwissenschaft die Universit?t besuchen sollte.--In Anne Lenes Gesellschaft machte ich meinen Abschiedsbesuch bei unsern alten Freunden auf dem Staatshof. Wir kamen eben von einer Fenne, wo der P?chter, wie es dort gebr?uchlich ist, seine Rapssaaternte auf einem gro?en Segel ausdreschen lie?. Nach der Sitte des Landes, die bei der schweren Arbeit den Leuten in jeder Weise gestattet, sich die Brust zu l��ften, waren wir mit einem ganzen Schauer von Schimpf- und Neckworten ��bersch��ttet worden; weder meine rote Sch��lerm��tze noch meine damals allerdings "ins Kraut geschossene" Figur war verschont geblieben. Auch Anne Lene hatte ihr Teil bekommen; aber man wu?te kaum, waren es Spottreden oder unbewu?te Huldigungen; denn alles bezog sich am Ende doch nur auf den Gegensatz ihres zarten Wesens zu der derben und etwas schwerf?lligen Art des Landes. Und in der Tat, wenn man sie betrachtete, wie der Sommerwind ihr die kleinen goldklaren Locken von den Schl?fen hob und wie ihre F��?e so leicht ��ber das Gras dahinschritten, so konnte man kaum glauben, da? sie hier zu Haus geh?re. Das kleine Kreuz, welches an dem schwarzen B?ndchen an ihrem Halse funkelte, mochte bei den Arbeitern diesen Eindruck noch vermehrt haben.
Als wir auf die Werfte kamen, fanden wir die alte Wieb in Zank mit einer Bettlerin vor der Haust��r stehen, die sie vergeblich abzuweisen suchte. Die leidenschaftlichen Geb?rden dieses noch ziemlich jungen Weibes waren mir wohlbekannt; sie ging auch in der Stadt alle Sonnabend von T��r zu T��r und zehrte dabei seit Jahren an dem Gedanken, da? sie von dem alten Ratman van der Roden, dem in seiner Amtsf��hrung die obervormundschaftlichen Angelegenheiten ��bertragen waren, um ihr m��tterliches Erbteil betrogen sei. Sie war infolge derartiger ?u?erungen schon mehrfach zur Strafe gezogen; und jetzt schien sie, nach dem beiderseitigen Betragen zu urteilen, fest entschlossen, auch der alten Dienerin der van der Rodenschen Familie diese verbla?te Geschichte vorzutragen.
Die Streitenden r��hrten sich bei unsrer Ankunft in ihrem Eifer nicht von der Stelle, und da wir nach dem Flur zwischen beiden hindurch mu?ten, so nahm Anne Lene ihr Kleid zusammen, um nicht an das der Bettlerin zu streifen.
Aber diese vertrat ihr den Weg. "Ei, sch?ne Mamsell", sagte sie, indem sie einen tiefen Knicks vor ihr machte und mit einer abscheulichen Koketterie ihre durchl?cherten R?cke schwenkte, "haben Sie keine Angst, meine Lumpen sind alle gewaschen! Freilich die seidenen B?ndchen sind l?ngst davon, und die Str��mpfe, die hat dein Gro?vater selig mir ausgezogen; aber wenn dir die Schuhe
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