Auf dem Staatshof | Page 5

Theodor W. Storm
und sagte dann, indem er seine Hand auf den Kopf des M?dchens legte: "Ihr werdet jetzt Geschwister sein; Anne Lene wird als mein Mündel von nun an in unserm Hause leben, denn ihre Gro?mutter, deine alte Freundin, ist gestorben."
Ich h?rte eigentlich nur den ersten Teil dieser Nachricht, denn die bestimmte Aussicht, nun fortw?hrend in Gesellschaft des anmutigen M?dchens zu sein, erregte in meiner Phantasie eine Reihe von heiteren Vorstellungen, die mich den Ort, an welchem wir uns befanden, vollst?ndig vergessen machten. Ich merkte es kaum, als Anne Lene ihre Arme um meinen Hals legte und mich kü?te, w?hrend ihre Tr?nen mein Gesicht benetzten.
Einige Tage darauf fand das Leichenbeg?ngnis statt, mit aller Feierlichkeit patrizischen Herkommens, so wie die Verstorbene es bei Lebzeiten in allen Punkten selbst verordnet hatte. Ich befand mich mit meiner Mutter und Anne Lene im Sterbehause. Noch sehr wohl erinnere ich mich, wie das Gel?ute der Glocken, die ged?mpfte Redeweise, in der alle die schwarzen Leute miteinander verkehrten, und die kolossalen, florbehangenen Wachskerzen, welche brennend vor dem Sarge hinausgetragen wurden, ein angenehmes Feiertagsgefühl in mir erregten, das dem unwillkürlichen Grauen vor diesem Gepr?nge vollkommen die Waage hielt.
Am andern Tage begann der werkt?tige Gang des Lebens wieder. Anne Lene war nun zwar mit mir in einem Hause, aber die Zeit unsern Beisammenseins bestand nicht mehr wie sonst nur in sonnt?glichen Spielstunden. Meine Hausarbeiten für das Gymnasium wurden von meinem Vater noch strenger überwacht als sonst, und Anne Lene war au?er ihren Schulstunden meist unter der Aufsicht der Mutter besch?ftigt. W?hrend meiner Freistunden nahmen die eigentlichen Knabenspiele einen immer gr??eren Raum ein, und ich habe meine kleine Freundin nie bewegen k?nnen, unser R?uberspiele mitzumachen oder auch nur in dem türkischen Zelte Platz zu nehmen, das ich von alten Teppichen in der Spitze eines Birnbaumes aufgeschlagen hatte.
Nur eine Freude blieb uns w?hrend unsrer ganzen Jugend gemeinschaftlich. --Die L?ndereien des Staatshofes waren seit dem Tode der alten Frau Ratmann an einen benachbarten Hofbesitzer verpachtet, w?hrend man das Wohnhaus mit der Werfte unter der Aufsicht der alten Wieb und ihres Mannes lie?. Da der Hof nur eine halbe Stunde von der Stadt lag, so war uns ein für allemal erlaubt, sonntags nach Tische dort hinauszugehen. Und wie oft sind wir diesen Weg gegangen! Auf der ebenen Marschlandstra?e bis zum Dorfe und dann seitw?rts über die Fennen von einem Heck zum andern, bis wir die dunkle Baumgruppe des Hofes erreicht hatten, die schon beim Austritt aus der Stadt auf der weiten Ebene sichtbar war. Wie oft beim Gehen wandten wir uns um und ma?en die Strecke, die wir schon zurückgelegt hatten, und sahen zurück nach den Türmen der Stadt, die im Sonnendufte hinter uns lagen! Denn mir ist, als habe an jenen Sonntagnachmittagen immer die Sonne geschienen und als sei die Luft über dieser endlosen grünen Wiesenfl?che immer voll von Lerchengesang gewesen.
Den alten Ehelauten auf dem Hofe war im unteren Stock des Hauses ein früher von der Familie bewohntes Zimmer zur Benutzung angewiesen; allein sie bewohnten nach eigener Wahl nach wie vor das Gesindezimmer, da dieses mit dem Stall und den übrigen Wirtschaftsr?umen in Verbindung stand. Gew?hnlich kam und der alte Marten in sonnt?glich wei?en Hemd?rmeln schon vor dem Tore entgegen und reichte uns in seiner schweigsamen Art die Hand; er konnte es nicht lassen, nach seinen jungen G?sten auszusehen. Hatten wir uns etwas versp?tet, so trafen wir ihn wohl schon auf unserm Wege drau?en auf den Fennen, seinen unzertrennlichen Begleiter, den Springstock, auf der Schulter; und w?hrend Anne Lene auf dem Fu?brett um die Hecken ging, lehrte er mich, nach Landesweise über die Gr?ben zu setzen. Im Zimmer drinnen pflegte dann auf dem langen blank gescheuerten Tische schon der Kaffeekessel seinen Duft zu verbreiten, und die alte Wieb, wenn sie mir die Hand gegeben und ihrem Lieblingskinde die hei?en Haare von der Stirn gestrichen hatte, schenkte uns viele Tassen ein, so viele, als wir immer trinken konnten, und dann noch eine "fürs N?tigen", wie sie sagte. Wenn wir uns auf diese Weise erquickt hatten und das Geschirr wieder abger?umt war, holte die Alte ihr Rad aus dem Winkel hinter der Tragkiste hervor und begann zu spinnen. Sie lie? dann wohl den Faden durch Anne Lenes Finger gleiten und zeigte uns die Gl?tte und Feinheit desselben; denn, wie sie mit sp?ter einmal vertraute, es sollte aus dem Flachse, den sie sonntags spann, das Brautlinnen für ihre junge Herrschaft gewebt werden.--Aber es duldete uns nicht lange neben ihr; wir ruhten nicht, bis sie uns ihr gro?es Schlüsselbund eingeh?ndigt hatte, in dessen Besitze wir dann die dunkle Treppe nach dem oberen Stockwerk hinaufstiegen und eine nach der andern die Türen zu den ver?deten Zimmern aufschlossen, in denen die feuchte Marschluft schon l?ngst an Decken und W?nden ihren Zerst?rungsproze? begonnen hatte. Wir betraten diese R?ume mit einer lüsternen Neugierde, obgleich wir wu?ten, da? nichts darin zu sehen
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