Auf dem Staatshof | Page 2

Theodor W. Storm
mit meinen beiden Eltern auf einem offenen Wagen über den ebenen Marschweg dahinfahren; ich fühle pl?tzlich den Sonnenschein mit einem kühlen Schatten wechseln, der an der einen Seite von ungeheuren B?umen auf den Weg hinausf?llt; und w?hrend ich meinen kleinen Kopf über die Lehne des Wagenstuhle recke, um den breiten Graben zu sehen, der sich neben den B?umen hinzieht, biegen wir gerade in die Schatten hinein und durch ein offenstehendes Gittertor. Ein gro?er Hund f?hrt wie rasend an der Kette aus seinem beweglichen Hause auf uns zu; wir aber kutschieren mit einem Peitschenknall auf den Hof hinauf bis vor die Haustür, und ich sehe eine alte Frau im grauen Kleide, mit einem feinen blassen Gesicht und mit besonders wei?er Fr?se auf der Schwelle stehen, w?hrend Knecht und Magd eine Leiter an den Wagen legen und uns zur Erde helfen. Noch rieche ich auf dem dunkeln Hausflur den strengen Duft der Alantwurzel, womit die Marschbewohner zur Abwehr der Mücken allabendlich zu r?uchern pflegen; ich sehe auch noch meinen Vater der alten Dame die Hand küssen; dann aber verl??t mich die Erinnerung, und ich finde mich erst nach einigen Stunden wieder, auf Heu gebettet, eine warme sommerliche D?mmerung um mich her. Ich sehe an den aus Heu und Korngarben gebildeten W?nden empor, die um mich her zwischen vier gro?en St?ndern in die H?he ragen, so hoch, da? der Blick durch ein wüstes Dunkel hindurch mu?, bis er aufs neue in eine matte D?mmerung gelangt, die zwischen zahllosen Spinngeweben aus einem Dachfensterchen hereinf?llt. Es ist das sogenannte Vierkant, worin ich mich befinde. Der zum Bergen des Heues bestimmte Raum im Innern des Hauses, wovon das Hofgeb?ude in unsern Marschen die eigentümlich hohe Bildung des Daches und seinen Namen "Heuberg" oder "Hauberg" erhalten hat.--Es ist volle Sonntagsstille um mich her. Aber ich bin hier nicht allein; in der ged?mpften Helligkeit, die durch die offene Seitenwand aus der angrenzenden Loodiele hereinf?llt, steht ein M?dchen meines Alters; die blonden H?rchen fallen über ein blaues Blusenkleid. Sie streckt ihre kleinen F?uste über mir aus und bestreut mich mit Heu; sie ist sehr eifrig, sie st?hnt und bückt sich wieder und wieder. "So", sagt sie endlich und atmet dabei aus Herzensgrunde, "so, nun bist du bald begraben!" Und wie ich eine Weile regungslos daliege, sehe ich durch die lose mich bedeckenden Halme, wie sie ihr K?pfchen zu mir niederbeugt, und wie sie dann pl?tzlich kehrtmacht und sich zu einer alten B?uerin hinarbeitet, die mit einem Strickstrumpf in der Hand uns gegenübersitzt. "Wieb", sagt sie, indem sie der Alten die Hand von der Wange zieht, "Wieb, ist er tot?"
Was die Alte darauf geantwortet, dessen entsinne ich mich nicht mehr; wohl aber, da? wir bald darauf durch einen dunkeln Gang auf den Hausflur und von dort eine breite Treppe hinauf in die obern R?ume des Hauses geführt wurden, in ein gro?es Zimmer mit goldgeblümten Tapeten, in welchem viele Bilder von alten wei? gepuderten M?nnern und Frauen an den W?nden hingen. Meine Eltern und die übrigen G?ste sind eben von einer gedeckten Tafel aufgestanden, die sich mitten im Zimmer unter einer gro?en Kristallkrone befindet. Bald sitze ich, in eine Serviette geknüpft, der kleinen Anne Lene gegenüber; Wieb steht dabei und serviert uns von den Resten. Ich befinde mich sehr wohl; nur zuweilen st?rt mich ein Kr?chzen, das aus der Ferne zu uns herüberdringt. "H?re!" sage ich und hebe meine kleinen Finger auf. Die alte Wieb aber kennt das schon lange. "Das sind die Raben", sagt sie, "sie sitzen im Baumgarten, wir wollen sie nachher besuchen."--Aber ich vergesse die Raben wieder; denn Wieb teilt zum Dessert noch die Zuckertauben von einer Konditortorte zwischen uns; nur scheint es nicht ganz unparteiisch herzugehen, denn Anne Lene erh?lt immer die Hahnenschw?nze und die Kragentauben.
Etwas sp?ter sehe ich die Gesellschaft auf den geschlungenen Gartenwegen zwischen den blühenden Büschen promenieren; die alte Dame mit der Fr?se, welche am Arme meines Vaters geht, beugt sich zu mir niedere und sagt, indem sie mir den Kopf aufrichtet: "Du mu? dich immer hübsch gerade halten, Kind!" Ich glaube noch jetzt, da? von dieser kleinen Ermahnung sich der fast scheue Respekt her schreibt, den ich, solange sie lebte, vor dieser Frau behalten habe.--Doch schon fa?t Wieb mich bei der Hand und führt uns weit umher auf den sonnigen Steigen; zuletzt bis zur Graft hinunter, an der ein gerader Steig entlang führt. So gelangen wir zu einem Gartenpavillon, in welchem die Gesellschaft bei offenen Türen am Kaffeetische sitzt. Wir werden hereingerufen, und da ich z?gere, nimmt meine Mutter einen Zuckerkringel aus dem silbernen Kuchenkorb und zeigt mir den. Aber ich fürchte mich; ich habe gesehen, da? das h?lzerne Haus auf dünnen Pf?hlen über dem Wasser steht; bis endlich doch die vorgehaltene Lockspeise und die bunten Sch?ferbilder, die drinnen auf die W?nde gemalt sind, mich bewegen, hineinzutreten.
Mir ist, als h?tte ich es mit
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