Auf Gottes Wegen | Page 2

Bjørnstjerne M. Bjørnson
Sache bemächtigten und erklären mußten,
ganz dasselbe sei schon unendlich oft prophezeit worden, und die
Zahlen bei Jeremias und Daniel hätten immer gestimmt. Aber als der
Orkan losbrach, entsetzlicher denn seit Menschengedenken, als Schiffe
sich losrissen und gegen die Brücken geschleudert wurden,
zerschmettert und zerschmetternd, und zumal als die Finsternis der
Nacht das Erdreich bedeckte, und sämtliche Lichter in den Laternen
erloschen ... als man die Brandung bloß noch hörte, ohne sie mehr zu
sehen ... dazwischen Kommandorufe, Getöse, Gekreische,
langgedehntes Jammergeschrei ... und dabei in den Straßen das
Entsetzen, wenn ganze Dächer abgehoben wurden, die Häuser erbebten,
Scheiben klirrten, Steine durch die Luft flogen, Menschen flüchteten,
ferne Rufe die Angst erhöhten ... ja, da gedachten wohl manche der
Worte des Laienpredigers: So helf uns Gott! Dies ist der jüngste Tag!
Bald werden die Sterne fallen! Besonders die Kinder waren in einer
Todesangst. Die Eltern hatten keine Zeit, bei ihnen zu bleiben. Denn
noch in der letzten Stunde war man einigermaßen im Zweifel, ob es
auch wirklich die letzte Stunde war, und nach alter Gewohnheit behielt
die Sorge um den irdischen Besitz doch die Oberhand. Man mußte
verstecken und abschließen und eilen, und nach dem Feuer sehen und
an allen Ecken und Enden sein. Den Kindern aber steckte man Gebet-
und Gesangbücher in die Hände und hieß sie lesen, was da von
Erdbeben und anderen Plagen und vom jüngsten Tage stand; man

schlug ihnen rasch die Stellen auf und stürzte davon. Als ob die Kinder
jetzt hätten lesen können!
Sie verkrochen sich lieber im Bett und zogen die Decke über den Kopf;
manche nahmen den Hund mit oder die Katze; sie fühlten sich
geborgener so; sie wollten zusammen sterben! Aber oft wollten Hund
und Katze nicht unter der Decke sterben, und dann setzte es einen
Kampf.
Der Junge, der oben auf der höchsten Felsenkuppe stand, war vor
Schreck überhaupt rein von Sinnen gewesen. Aber er war einer von
denen, die das Entsetzen von einem Ort zum anderen hetzte, vom Haus
auf die Straße, von der Straße nach dem Hafen, vom Hafen wieder nach
Hause. Nicht weniger als dreimal war sein Vater hinter ihm her
gewesen, hatte ihn eingefangen, ja, sämtliche Türen hinter ihm
verrammelt; aber entwischt war er doch. So etwas blieb doch sonst
nicht unbestraft; kein Junge wurde strenger gehalten und so reichlich
mit Prügel bedacht wie Edvard Kallem. Aber ein Gutes hatte der Sturm
doch gehabt: Prügel setzte es nicht in dieser Nacht.
Die Nacht verging, und noch standen die Sterne am Himmel; der Tag
kam, und die Sonne schien hell wie immer. Auch der Sturm ging
vorüber, und mit ihm der letzte Rest von Angst.
Doch hat die Angst einmal ein Menschengemüt so grenzenlos
beherrscht, da bleibt der Schrecken vor dem Schrecken zurück. Nicht
allein in bösen Träumen, nein, auch am Tage, wenn man sich am
allersichersten wähnt, lauert sie in unserer Phantasie, um beim
geringsten Außergewöhnlichen über uns herzufallen, uns mit
tückischen Augen und Nebelodem zu verschlingen, uns bisweilen in
den Wahnsinn zu treiben ...
Da stand der Knabe; es war ihm unbehaglich zu Mut in der sinkenden
Sonne und beim Toben der Brandung, --und da war auch schon die
Höllenangst wieder über ihm; die Schrecken des jüngsten Tages
umbrausten ihn. Er begriff nicht, wie er sich so gefährlich weit hier
herauf hatte wagen können, und noch dazu allein! Wie gelähmt fühlte
er sich; er wagte nicht, den Fuß zu heben --wer weiß, ob er nicht

beobachtet wurde; Feindesmächte waren um ihn her. Er betete heimlich
zu seiner verstorbenen Mutter: wenn das wirklich das Ende sei, und die
Auferstehung sie befreie, so möge sie hier heraufkommen zu ihm; nicht
zu seiner Schwester --die hatte ja Rektors; er aber hatte niemand.
Doch alles blieb beim alten. Nur der Schimmer im Westen verblich,
und im Osten dunkelte es; der Geist der Kälte schritt unerbittlich weiter
und wurde Alleinherrscher; das gab eine gleichmäßige Größe und die
Sicherheit der Einheit. Nach und nach schöpfte Edvard wieder soviel
Mut, daß er freier zu atmen wagte --erst versuchsweise, dann ganz tief,
viele Male. Jetzt fing er an, sich zu bewegen, leise, unmerklich und
nicht ohne Angst, daß die Unsichtbaren hier oben Verdacht schöpfen
könnten, -- denn sie wollten ihn doch haben. Behutsam glitt er dem
Abstieg zu und fort vom Felshang. Keine Flucht, behüte! Er wußte gar
nicht einmal, ob er überhaupt gehen wollte; er wollte es nur versuchen,
-- konnte ja schließlich zurückkommen. Aber der Abstieg hier war
nicht leicht und mußte eigentlich vor Einbruch der Dunkelheit gemacht
werden; und es wurde so furchtbar schnell dunkel jetzt. Wenn er nur so
weit wäre, daß er den Fußweg, der vom Fischerdorf drunten über den
Berg heraufführte, wieder erreicht hätte, ja, dann war alle Gefahr
überstanden; aber hier -- nur vorsichtig, vorsichtig, ein ganz
kleinwinziger Schritt, und noch einer, und noch ein kleiner! Nur zum
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