Aquis Submersus | Page 2

Theodor W. Storm
tiefen und, wie ich jetzt meine, nicht weniger als jene Pappel gef?hrlichen Wassergrube, deren Rand mit alten Weidenstümpfen dicht umstanden war, fingen wir die flinken schwarzen K?fer, die wir "Wasserfranzosen" nannten, oder lie?en wir ein andermal unsere auf einer eigens angelegten Werft erbaute Kriegsflotte aus Walnu?schalen und Schachteldeckeln schwimmen. Im Sp?tsommer geschah es dann auch wohl, da? wir aus unserer Koppel einen Raubzug nach des Küsters Garten machten, welcher gegenüber dem des Pastorates an der anderen Seite der Wassergrube lag; denn wir hatten dort von zwei verkrüppelten Apfelb?umen unseren Zehnten einzuheimsen, wofür uns freilich gelegentlich eine freundschaftliche Drohung von dem gutmütigen alten Manne zuteil wurde.--So viele Jugendfreuden wuchsen auf dieser Priesterkoppel, in deren dürrem Sandboden andere Blumen nicht gedeihen wollten; nur den scharfen Duft der goldknopfigen Rainfarren, die hier haufenweis auf allen W?llen standen, spüre ich noch heute in der Erinnerung, wenn jene Zeiten mir lebendig werden.
Doch alles dieses besch?ftigte uns nur vorübergehend; meine dauernde Teilnahme dagegen erregte ein anderes, dem wir selbst in der Stadt nichts an die Seite zu setzen hatten.--Ich meine damit nicht etwa die R?hrenbauten der Lehmwespen, die überall aus den Mauerfugen des Stalles hervorragten, obschon es anmutig genug war, in beschaulicher Mittagsstunde das Aus- und Einfliegen der emsigen Tierchen zu beobachten; ich meine den viel gr??eren Bau der alten und ungew?hnlich stattlichen Dorfkirche. Bis an das Schindeldach des hohen Turmes war sie von Grund auf aus Granitquadern aufgebaut und beherrschte, auf dem h?chsten Punkt des Dorfes sich erhebend, die weite Schau über Heide, Strand und Marschen.--Die meiste Anziehungskraft für mich hatte indes das Innere der Kirche; schon der ungeheure Schlüssel, der von dem Apostel Petrus selbst zu stammen schien, erregte meine Phantasie. Und in der Tat erschlo? er auch, wenn wir ihn glücklich dem alten Küster abgewonnen hatten, die Pforte zu manchen wunderbaren Dingen, aus denen eine l?ngst vergangene Zeit hier wie mit finstern, dort mit kindlich frommen Augen, aber immer in geheimnisvollem Schweigen zu uns Lebenden aufblickte. Da hing mitten in die Kirche hinab ein schrecklich übermenschlicher Crucifixus, dessen hagere Glieder und verzerrtes Antlitz mit Blute überrieselt waren; dem zur Seite an einem Mauerpfeiler haftete gleich einem Nest die braungeschnitzte Kanzel, an der aus Frucht- und Blattgewinden allerlei Tier- und Teufelsfratzen sich hervorzudr?ngen schienen. Besondere Anziehung aber übte der gro?e geschnitzte Altarschrank im Chor der Kirche, auf dem in bemalten Figuren die Leidensgeschichte Christi dargestellt war; so seltsam wilde Gesichter, wie das des Kaiphas oder die der Kriegsknechte, welche in ihren goldenen Harnischen um des Gekreuzigten Mantel würfelten, bekam man drau?en im Alltagsleben nicht zu sehen; tr?stlich damit kontrastierte nur das holde Antlitz der am Kreuze hingesunkenen Maria; ja, sie h?tte leicht mein Knabenherz mit einer phantastischen Neigung bestricken k?nnen, wenn nicht ein anderes mit noch st?rkerem Reize des Geheimnisvollen mich immer wieder von ihr abgezogen h?tte.
Unter all diesen seltsamen oder wohl gar unheimlichen Dingen hing im Schiff der Kirche das unschuldige Bildnis eines toten Kindes, eines sch?nen, etwa fünfj?hrigen Knaben, der, auf einem mit Spitzen besetzten Kissen ruhend, eine wei?e Wasserlilie in seiner kleinen bleichen Hand hielt. Aus dem zarten Antlitz sprach neben dem Grauen des Todes, wie hülfeflehend, noch eine letzte holde Spur des Lebens; ein unwiderstehliches Mitleid befiel mich, wenn ich vor diesem Bilde stand.
Aber es hing nicht allein hier; dicht daneben schaute aus dunklem Holzrahmen ein finsterer, schwarzb?rtiger Mann in Priesterkragen und Sammar. Mein Freund sagte mir, es sei der Vater jenes sch?nen Knaben; dieser selbst, so gehe noch heute die Sage, solle einst in der Wassergrube unserer Priesterkoppel seinen Tod gefunden haben. Auf dem Rahmen lasen wir die Jahreszahl 1666; das war lange her. Immer wieder zog es mich zu diesen beiden Bildern; ein phantastisches Verlangen ergriff mich, von dem Leben und Sterben des Kindes eine n?here, wenn auch noch so karge Kunde zu erhalten; selbst aus dem düsteren Antlitz des Vaters, das trotz des Priesterkragens mich fast an die Kriegsknechte des Altarschranks gemahnen wollte, suchte ich sie herauszulesen.
--Nach solchen Studien in dem D?mmerlicht der alten Kirche erschien dann das Haus der guten Pastorsleute nur um so gastlicher. Freilich war es gleichfalls hoch zu Jahren, und der Vater meines Freundes hoffte, so lange ich denken konnte, auf einen Neubau; da aber die Küsterei an derselben Altersschw?che litt, so wurde weder hier noch dort gebaut.--Und doch, wie freundlich waren trotzdem die R?ume des alten Hauses; im Winter die kleine Stube rechts, im Sommer die gr??ere links vom Hausflur, wo die aus den Reformationsalmanachen herausgeschnittenen Bilder in Mahagonir?hmchen an der wei?getünchten Wand hingen, wo man aus dem westlichen Fenster nur eine ferne Windmühle, au?erdem aber den ganzen weiten Himmel vor sich hatte, der sich abends in rosenrotem Schein verkl?rte und dann das ganze Zimmer übergl?nzte! Die lieben Pastorsleute, die Lehnstühle mit den roten Plüschkissen, das alte tiefe Sofa, auf dem Tisch beim Abendbrot der traulich sausende Teekessel--es war alles helle, freundliche
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