Andrea Delfin | Page 5

Paul Heyse
ein Gefäß mit Wasser tragend und ein
Räucherpfännchen, auf dem ein scharfriechendes Kraut glimmte und
ihr seinen Dampf ins Gesicht trieb, daß sie mit Husten, Schelten und
Augenreiben die drolligsten Gebärden machte. Sie trug das
Räucherwerk mit kleinen Schritten dicht an den vier Wänden herum,
die mit einer Unzahl Fliegen und Mücken bedeckt waren.
Marschiert da weg, ihr Gesindel, sagte sie, ihr Blutsauger, schlimmer
als Advokaten und Doktoren! Hättet ihr auch Lust, Feigen zu Nacht zu
essen und Zyper zu naschen? Da könntet ihr wohl lachen und hernach
zum Dank dem Herrn da, wenn er schläft, das Gesicht zerstechen, ihr
Meuchelmörder! Wartet, ich will euch was eingeben, das euch ohne
Abendessen in Schlaf bringen soll.
Mußt du immer schwatzen, du gottlose Kreatur? sagte die Mutter, die
allen Bewegungen ihres Lieblings mit strahlenden Blicken folgte.
Weißt du nicht, daß ein Faß, das klingt, leer ist, und wer viel spricht,
wenig sagt?--Mutter, sagte das Mädchen lachend, ich muß den Mücken
ein Schlaflied singen, und seht, wie es hilft! da fallen sie schon von der
Wand. Gute Nacht, ihr Tagediebe, ihr schlechten Gesellen, die ihr
keine Miete bezahlt und doch in alle Töpfe guckt. Wir sprechen uns
morgen wieder, wenn ihr heute nicht genug bekommen habt.
Sie schwenkte das erlöschende Kraut noch einmal wie beschwörend
überm Haupte und schüttete die Asche in den Kanal, dann verbeugte
sie sich rasch gegen den Fremden und lief wie der Wind hinaus.
Ist es nicht eine Hexe, ein häßliches, unerzogenes Geschöpf? sagte Frau
Giovanna, indem sie aufstand und sich ebenfalls zum Gehen anschickte.
Und doch gefällt jeder Äffin ihr Äffchen. Und übrigens, so klein sie ist
und nichtsnutzig, so anstellig ist sie auch, und es heißt auch von ihr:
Bis die Große sich nur bückt, Hat die Kleine schon das Kraut gepflückt.
Wenn ich das Kind nicht hätte, Herr Andrea! Aber Ihr wollt schlafen,
und ich stehe noch hier und brodle wie die Suppe überm Feuer. Schlaft
wohl und willkommen in Venedig!
Er erwiderte ihren Gruß trocken und schien es nicht zu bemerken, daß
sie offenbar noch ein lobendes Wort über ihre Tochter von ihm
erwartete. Als er endlich allein war, saß er noch eine Weile am Tisch,

und sein Gesicht wurde immer düsterer und schmerzlicher. Das Licht
brannte mit langem Docht, die Fliegen, die Mariettas Hexenkünsten
entgangen waren, belagerten in schwarzen Klumpen die überreifen
Feigen, draußen in dem Sackgäßchen flogen die Fledermäuse ans
Fenster und stießen gegen das Gitter--der einsame Fremde schien für
alles um ihn her erstorben, und nur die Augen lebten an ihm.
Erst als es elf schlug vom Turm einer nahen Kirche, richtete er sich
mechanisch auf und sah um sich. An der Decke seines niedrigen
Zimmers zog in grauen Streifen der scharfe Dunst des Räucherkrautes
hin und der Dampf der Kerze gesellte sich zu der Wolke droben.
Andrea öffnete das Fenster nach dem Kanal, um die Luft zu reinigen.
Da sah er gegenüber Licht in einem durch einen weißen Vorhang nur
halb geschlossenen Fenster und konnte durch die Lücke deutlich ein
Mädchen beobachten, welches am Tisch vor einer Schüssel saß und die
Reste einer großen Pastete hastig verzehrte, mit den Fingern die Bissen
zum Munde führend und dazu dann und wann aus einem
Kristallfläschchen trinkend. Das Gesicht hatte einen leichtsinnigen,
aber eben nicht herausfordernden Ausdruck, nicht mehr in erster
Jugend. In der nachlässigen Kleidung und dem halbaufgelösten Haar
lag etwas Studiertes und Bewußtes, was doch nicht ungefällig war. Sie
mußte längst bemerkt haben, daß das Zimmer gegenüber einen neuen
Bewohner aufgenommen hatte; aber obwohl sie denselben jetzt am
Fenster sah, fuhr sie ruhig im Schmausen fort, und nur wenn sie trank,
schwenkte sie das Fläschchen erst vor sich her, als wolle sie einen
Mittrinker begrüßen. Darauf stellte sie die leere Schüssel beiseite,
rückte den Tisch mit der Lampe so gegen die Wand, daß alles Licht auf
einen breiten Spiegel im Hintergrunde fiel, und begann nun einen
Haufen Maskenanzüge, der auf einem Armsessel bunt übereinander lag,
der Reihe nach vor dem Spiegel anzuprobieren, so daß der Fremde
gegenüber, dem sie den Rücken dabei zudrehte, desto deutlicher ihr
Abbild sehen mußte. Sie schien sich nicht wenig in ihren
Verkleidungen zu gefallen. Wenigstens nickte sie ihrem Bilde aufs
freundlichste zu, lachte sich an, daß Zähne und Lippen schimmerten,
runzelte die Brauen, um eine tragische oder schmachtende Miene zu
machen, und sah dabei heimlich seitwärts nach dem Beobachter drüben,
den sie ebenfalls durch den Spiegel im Auge behielt. Als die dunkle
Gestalt unbeweglich blieb und die erhofften Zeichen des Beifalls auf

sich warten ließen, wurde sie ungehalten und bereitete einen
Hauptschlag vor. Sie band sich einen großen roten Turban um die
Schläfen, aus dem an blitzender Agraffe eine Reiherfeder hervorsah.
Das Rot stand allerdings nicht übel zu ihrer gelben Gesichtsfarbe, und
sie machte sich selbst eine tiefe Verbeugung der Anerkennung. Als es
aber drüben auch jetzt noch still
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 39
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.