Andrea Delfin | Page 3

Paul Heyse
Blick erkannte. Nur der Ausdruck in beiden
Gesichtern schien niemals einander ähnlich werden zu können. Es war
zwischen den dichten Brauen der Frau Giovanna ein Zug von
Spannung und kummervollem Harren, der auch mit den Erfahrungen
des Alters auf Mariettas klarer Stirn nie dauernd eine Stätte finden
konnte. Diese Augen mußten immer lachen, dieser Mund immer ein
wenig geöffnet sein, um jeden Scherz unverzüglich hinauszulassen. Es
war unendlich drollig zu sehen, wie jetzt in diesem Gesichtchen
Verschlagenheit, Überraschung, Neugier und Mutwille miteinander
kämpften. Sie bog beim Eintreten den Kopf, dessen lose Flechten mit
einem schmalen Tuch umwunden waren, seitwärts, um den neuen
Hausgenossen zu sehen. Auch seine ernste Miene und sein graues Haar
stimmten ihre Munterkeit nicht herab. Mutter, flüsterte sie, indem sie
einen großen Teller mit Schinken, Brot und frischen Feigen und eine
halbvolle Flasche Wein auf den Tisch stellte, er hat ein kurioses
Gesicht, wie ein neues Haus im Winter, wenn der Schnee aufs Dach
gefallen ist.
Schweig, du schlimme Hexe! sagte die Mutter rasch. Weiße Haare sind
falsche Zeugen. Er ist krank, mußt du wissen, und du solltest Respekt
haben, denn Krankheiten kommen zu Pferde und gehen zu Fuß, und
Gott behüte dich und mich, denn die Kranken essen wenig, aber die
Krankheit frißt alles. Hole nur ein wenig Wasser, soviel wir noch haben.
Morgen müssen wir früh auf und neues kaufen. Sieh, er sitzt da, als ob
er schliefe. Er ist müde von der Reise, und du bist müde vom Stillsitzen.
So ist die Welt verschieden.
Während dieser halblauten Reden hatte der Fremde am Fenster
gesessen und den Kopf in die Hand gestützt. Auch als er jetzt aufsah,
schien er die Gegenwart des zierlichen Mädchens, das ihm eine
Verbeugung machte, kaum zu bemerken.
Kommt und eßt etwas, Herr Andrea, sagte die Witwe. Wer nicht zu
Nacht ißt, hungert im Traum. Seht, die Feigen sind frisch, und der
Schinken zart, und dies ist Zyperwein, wie ihn der Doge nicht besser
trinkt. Sein Kellermeister hat ihn uns selbst verkauft, eine alte
Bekanntschaft noch von meinem Mann her. Ihr seid gereist, Herr. Ist er

Euch nicht einmal begegnet, mein Orso, Orso Danieli?
Gute Frau, sagte der Fremde, indem er einige Tropfen Wein ins Glas
goß und eine der Feigen aufbrach, ich bin nie über Brescia
hinausgekommen und kenne keinen dieses Namens.
Marietta verließ das Zimmer, und man hörte sie, während sie die
Treppe hinunterflog, ein Liedchen mit heller Stimme vor sich hin
singen.
Hört Ihr das Kind? fragte Frau Giovanna. Man hielte sie nicht für
meine Tochter, obwohl auch eine schwarze Henne ein weißes Ei legt.
Immer singen und springen, als wären wir hier nicht in Venedig, wo es
gut ist, daß die Fische stumm sind, weil sie sonst reden würden, was
einem das Haar sträubte. Aber so war ihr Vater auch, Orso Danieli, der
erste Arbeiter auf Murano, wo sie die bunten Gläser machen, wie
nirgend auf der Welt. Ein fröhlich Herz macht rote Wangen, das war
sein Spruch. Und darum sagte er eines Tages zu mir, Giovannina, sagte
er, ich halt' es hier nicht aus, die Luft schnürt mir die Kehle zu, gestern
erst ist wieder einer erdrosselt und mit dem Fuß an den Galgen gehenkt
worden, weil er freie Reden geführt hat gegen die Inquisitoren und den
Rat der Zehn. Man weiß, wo man geboren wird, aber nicht, wo man
stirbt, und mancher denkt auf dem Pferde zu sitzen und sitzt auf der
Erde. Also, Giovannina, sagte er, ich will nach Frankreich, Kunst
bringt Gunst, und der Heller läuft dem Batzen nach. Meine Sache
verstehe ich, und wenn ich's draußen zu was gebracht habe, kommst du
nach mit unserem Kind.--Das war damals acht Jahre alt, Herr Andrea.
Es lachte, als es der Vater zuletzt küßte; da lachte er auch. Ich aber
weinte, da mußte er wohl mitweinen, obwohl er ganz lustig wegfuhr in
der Gondel, ich hört' ihn noch pfeifen, als er schon um die Ecke war.
So ging es ein Jahr. Und was geschah? Die Signoria ließ nach ihm
fragen; es dürfe keiner von Murano sein Gewerk ins Ausland tragen,
damit sie es dort ihm nicht absähen; ich sollt' ihm schreiben, daß er
wiederkäme, bei Todesstrafe. Über den Brief lachte er; aber den Herren
vom Tribunal war's nicht spaßhaft. Eines Morgens, da wir noch zu Bett
waren, wurde ich abgeholt, das Kind mit mir, und hinaufgeschleppt
unter die Bleidächer, und mußte ihm wieder schreiben, wo ich wäre,
ich und unser Kind, und daß ich da bleiben würde, bis er selber mich
abforderte in Venedig. Nicht lange, so hatte ich seine Antwort, das
Lachen sei ihm vergangen, er wandere dem Brief auf den Fersen nach.

Nun, ich hoffte täglich, daß er es wahrmachen werde. Aber Wochen
und Monde vergingen, und mir ward immer weher ums Herz und
kränker im Haupt, denn da droben ist die Hölle, Herr Andrea,
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