An Deutschlands Jugend | Page 9

Walther Rathenau
M?chtige, ist denn der Mord der Millionen schw?rzer als der Mord eines Einen? Sind denn geschlachtete St?dte und Landstriche der Gro?k?nige und Pharaonen, Khane und C?saren mildere Opfer gewesen als die der Handgranaten und Gase? Freilich nicht; menschliches Elend w?chst nicht ��ber sich selbst hinaus durch angeh?ngte Nullen, die Million ist an sich nichts anderes als die Myriade. Dennoch ist diese wissenschaftlich geregelte Feuerflut das vorbildlose Grauen der Jahrtausende, und es ist begreiflicher, da? manche, die es erleben, an allem verzweifeln, als viele, die es erleben, an nichts verzweifeln.
Alles fr��here Elend war ein Gei?elschlag, der auf den R��cken der gesunden Erde sauste. Getroffen wurden von der Furie zwei Heere und was ihnen in den Weg kam, das andere blieb gesund. Der Drei?igj?hrige Krieg war das Vorbild der fressenden Kriegsseuche, doch sie blieb im Raume beschr?nkt. Den wahren Vergleich dessen, was wir erleben, nein zu erleben beginnen, bietet der f��nfhundertj?hrige Brand, in dem ein Weltzeitalter sich l?ste. In der Schmelzglut versank die s��dliche Antike und die m?nch-ritterliche Strenge des Nordens stieg empor. Doch auch diese Krisis war innerlich milder, denn sie betraf unbewu?te Geschlechter in der Gestalt eines objektiven Schicksals.
Was wir erleiden ist die furchtbare Konsequenz der Sinnlosigkeit, die selbstgeschaffene H?lle. Nicht Eine verantwortungsvoll lebendige Seele will das Leiden, und jede ist verflucht, wissentlich und willentlich, in Duldung und Ha?, in Widerstreben und Furcht das Leid des anderen und das Leid der Welt zu mehren. Jeder, der lebt, und wenn er nur sein t?gliches Brot verzehrt, ist mitschuldig, sch?digt und t?tet, keiner kann sich dem Gei?eltanz entziehen, je hei?er er blutet, desto wilder mu? er schlagen. Keiner wei? den Sinn, keiner den Grund, keiner den Zweck, es bleibt ihm als Trost nur der selbstentfachte Ha? und die zitternde Emp?rung ��ber die Schlechtigkeit des anderen. Niemand sieht den Ausweg, denn wem es schlecht geht, der kann nicht beenden, und wem es gut geht, der wird gezwungen, seine Forderung zu steigern. Ein jeder aber, dessen Herz nicht stumpf ist, f��hlt, da? die Schlechtigkeit des anderen es nicht allein sein kann, da? hinter allen Schlechtigkeiten ein b?ses Schicksal steht, und da? dieses Schicksal die Ungerechtigkeit aller ist. Und deshalb wiederum f��hlt man die Unabwendbarkeit der selbstgeschaffenen Not, f��hlt man, da? sie nicht zu Ende gehen kann wie die Entscheidung eines Zweikampfes, die Recht und Unrecht durch Bu?e und Erstattung l?st. Noch immer zwar, weit tiefer als man wei? und zugibt, ist die Welt durchs?ttigt von der Vorstellung des Gottesurteils, von der Verwerfung des Besiegten, von der Rechtfertigung des Siegers, da? der Sieg an sich nach Gottes Wohlgefallen neues Recht und neue Sittlichkeit schafft, da? der Unterworfene von der Gottheit selbst dem Unterwerfer unter die F��?e gelegt wird zur Schonung oder Vernichtung nach freiem Ermessen, wie der Ausdruck lautet: auf Gnade und Ungnade. Daher bei jedem Mi?erfolg ein tieferes Gef��hl als Entt?uschung und Kummer, n?mlich die sittliche Angst vor der Verwerfung, bei jedem Erfolg ein h?heres als Freude, n?mlich die Sicherheit, auf der Seite des k?mpfenden Gottes zu stehen; daher die wachsende Hemmung gegen Verst?ndigung: Denn wie sollte der jeweils vom Gott Beschirmte, der Tr?ger des Schicksals, mit dem Gezeichneten, dem vor aller Welt Widerlegten und Entrechteten paktieren? Und die urzeitliche Vorstellung wird bekr?ftigt durch den ?ffentlichen Wettbewerb der Beteiligten um die Gunst des Schlachtengottes, von dem man annimmt, da? sein Entschlu? durch Gebet, Danksagung, Ehrenbezeigung und Bu?e wo nicht ge?ndert, so doch gest?rkt werden k?nne.
Der neuzeitliche Mensch, dem es nicht mehr gegeben ist, das Entsetzen auf den Kometen und den Zorn der D?monen abzuw?lzen, der in seinem Inneren alle Schuld und Verantwortung f��r das widerwillig selbstgeschaffene Leid sucht und findet, kann von Verzweiflung so ��berw?ltigt werden, da? er aus seiner Not ins Chaos fl��chtet. Es kann ihm geschehen, da? er getrieben wird, alle Werte anzutasten, da? er die Frage wagt, ob jene G��ter, die Christus nicht als G��ter kannte, Vaterland, Nation, Wohlstand, Macht, Kultur wahrhaft so hoch erhaben, so tief gegr��ndet sind, da? in ihrem Namen die Welt friedlich und kriegerisch sich in die ewige S��nde der Feindschaft, des Hasses und Neides, der Ungerechtigkeit und Unterdr��ckung, der staatsm?nnischen R?nke, der Gewalt und des Mordes verstricken d��rfe. Der Zweifel kann sich versteifen, wenn berufene Ausleger des Wortes, zwischen Schrift und Wirklichkeit gestellt, die Gebote der Liebe au?er Kraft setzen oder durch gewagte Deutung den k?mpfenden M?chten unterwerfen. Ist denn nicht den Armen und Ohnm?chtigen das Himmelreich verhei?en? Ist nicht die Verk��ndung allen V?lkern gepredigt? Ist es nicht g?ttlich, Unrecht erleiden? Ist es das Wissen, das selig macht? Ist nicht ein Vater im Himmel und ein Land die Erde?
Warum sollen nicht die V?lker in der Menschheit l?sen, die Staaten im guten Willen, die M?chte in g?ttlicher F��gung, das Handeln im Dulden?
Der Mensch ist ein Gesch?pf des Gleichgewichts, und niemandem steht es mehr an als dem Deutschen, der ��ber Zeiten und R?ume blickt, die h?here Menschheitsstufe zu
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