An Deutschlands Jugend | Page 6

Walther Rathenau
und K?mpfen, dahin, wo alle Unbestechlichkeiten vor euch den Trunk ihres Durstes gesucht hatten, zur Natur, und dahin -- dies ist euer sch?nster Gewinn -- wohin nicht viele Geschlechter gedrungen sind, zur Menschenliebe, Gemeinsamkeit und Freundschaft. Viel fehlte nicht, so h?ttet ihr euch von jedem lastenden Erbteil der Vergangenheit losgesagt und den Weg zur alten Menschenfreiheit gefunden.
Ihr schweiftet durchs Land und lerntet die Freundschaft zu B?umen, Tieren und Menschen. Manches Lied und mancher Vogelruf wurde euch vernehmlich, und ihr achtetet auf Gestirne, Wind und Wolken und lerntet die Namen der Kr?uter und die Spuren der Tiere auf morgendlichen Wegen. In N?chten sa?et ihr beisammen und sprachet von freier, verantwortlicher Bestimmung des Lebens, von einem Dasein ohne Ha? und Gier und vom Erwachen des Geistes.
Den D?monen konnte dies Dasein ein tr?umerisches Spiel scheinen, zu leicht und gl��cklich selbst f��r die Jugend Erdgebundener. Da geschah die Berufung, die euch vor anderen Geschlechtern traf und zur Mannheit schlug und eure Stirn mit dem Lose der Verantwortung f��r k��nftige Wende zeichnete: der Sturm des Krieges ergriff euch und viele durften siegend sterben. Der Zeiger der Geschichte steht still, solange die Urkr?fte und Titanen ringen; die letzte Antwort, die ihr schuldet, ist nicht Aufbruch und Kampf, sondern Heimkehr und Einkehr.
Unsere Herzen sind zumeist bei denen von Euch, die ihre Unschuld und ihr reines Gl��ck, furchtlos, das Seiende segnend, ohne Zweifel und ohne Frage ins Feld getragen haben. Sie sind der bl��hende Leib und die lebendige Kraft des neuen Volkes. Heute noch sind sie mit der Meinung und Wertung des Tages zufrieden, mit leichten Erkl?rungen einverstanden, leiblich und geistig im Dienst, der Gegenwart zugekehrt. So aber werden sie sich auch der neuen Gegenwart zukehren, und wenn sie reinen Herzens bleiben, tun, so Gott will, was not ist.
Jene anderen aber, denen im Herzen der Krampf und das Weh der Erde zum zweiten Male sich abspielt, die in der Angst der Schuld und in der Qual des sch?pferischen Zweifels vergehen, ihnen ist das harte Los bestimmt, sich loszuringen, in die Tiefe zu fahren und neue Gestaltung emporzutragen. Ihre Verantwortung ist es, wenn die Dinge des Landes und des Erdteils so bleiben, wie sie sind, wenn Neid und Habsucht die treibenden Kr?fte von Volk zu Volk bleiben, wenn die V?lker als Fremdlinge, als Objekte in den H?usern ihrer Staaten sitzen, wenn Ungerechtigkeit, Ha?, Gier und Entseelung den entfleischten Erdteil von Kampf zu Kampf in Brudermord und Vernichtung treiben. Ihre Gefahr ist Zerm��rbung der gro?en Aufgabe und ihrer selbst durch unergriffene Kl��gelei, durch selbstverliebte Theoretik, durch flache Originalit?t. Erschreckt nicht vor dem einfachen Gedanken! Selten liegt die Wahrheit in der verschmitzten neuen Formel, meist liegt sie offen zutage, vor aller Augen, nur durch ihre Offenkundigkeit verborgen; das reine Herz mu? sie finden.
Mit ihnen, den Zweifelnden, mu? ich reden. Nicht als einer, der wei? und sicher ist, sondern als einer von denen, die mit ihnen leiden und suchen, die f��hlen, da? alle Gemeinschaft ein Bekennen ist.
Zuerst steigt der Urzweifel auf. Was ist wirklich? Es gibt nur t?uschende Erscheinung. Was ist erstrebenswert? Es gibt keine absoluten Werte. Was ist ein Ziel? Ein Zustand, von dem man, sobald er erreicht ist, zu neuen Zielen hinwegstrebt -- oder eine unertr?glich s��?e, falsche Seligkeit. Was sind menschliche Triebkr?fte? Genu? und Macht. Was ist Tat und Opfer? Zwang unfreien Willens. Was ist Sittlichkeit? Eine Konvention des Zeitalters und der Umwelt. Was ist Geschichte? Die wechselnde Ausdrucksform des Nahrungskampfes. Was ist Dasein? Eine Verirrung des Absoluten, aus dem es nur den Ausweg gibt in Traum und Nichts.
Es ist niemand verwehrt, einen, mehrere oder alle dieser S?tze f��r wahr zu halten. Nur sollte er dann so ehrlich sein, wie es Skeptiker und Pessimisten nicht immer gewesen sind, wo nicht auf Handlung, so auf G��ltigkeit der Handlung zu verzichten. Er sollte nicht versuchen, mit d��rftiger und verhohlener Anleihe aus anderen geistigen Breiten eine H��tte zu zimmern, in der man den ungeselligen, unbequemen, unma?geblichen Hausrat der Weltflucht oder Indifferenz, des Zynismus oder Epikur?ertums stillschweigend und verstohlen gegen wohnlichere Ger?tschaften vertauschen kann.
Dr?ngt uns das Herz, bestimmend zu handeln, so haben wir schon unbewu?t und unbeirrt die Wahl getroffen. Unser Wollen erh?lt nicht mehr sein Licht aus der D?mmerwelt des Intellekts, sondern aus dem h?heren und reineren geistigen Bezirk der Seele, die sich nicht vor unteren Instanzen zu verantworten hat, sondern die selbst die h?chste, an der Grenze des Irdischen waltende Instanz ist. In ihrem Reiche haben wir den Boden des Glaubens betreten, aus dem von jeher jede Quelle h?heren menschlichen Willens entsprungen ist, gleichviel, ob der geometrische Verstand sich nachtr?glich entschlie?t, aus handfesten Brocken, Symbolen der Erscheinungswelt, Brunnenr?nder und Deiche zu erbauen. In diesem Reiche, das alles Sittliche umschlie?t und uns mit dem G?ttlichen verbindet, sind wir frei und bed��rfen keiner Beweise und ��berredungen, denn was wir aus heiligem Bezirk unber��hrt herniedertragen, leuchtet und leuchtet ein, es ��berzeugt durch sich selbst,
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