Der junge Gelehrte | Page 2

Gotthold Ephraim Lessing
Herr Pfarr oft gesagt hat, so ist er keiner von den schlechten Schulmeistern; er versteht ein Wort Latein und kann davon urteilen.
Damis. Das ist lustig! Der Schulmeister also lobt den Pfarr, und der Pfarr, nicht unerkenntlich zu sein, lobt den Schulmeister. Wenn mein Vater zugegen w?re, so würde er gewi? sagen: Manus manum lavat. Hast du ihm die alberne Gewohnheit nicht angemerkt, da? er bei aller Gelegenheit ein lateinisches Sprüchelchen mit einflickt? Der alte Idiote denkt, weil er so einen gelehrten Sohn hat, müsse er doch auch zeigen, da? er einmal durch die Schule gelaufen sei.
Anton. Hab ich's doch gedacht, da? es etwas Albernes sein müsse; denn manchmal mitten in der Rede murmelt er etwas her, wovon ich kein Wort verstehe.
Damis. Doch schlie?e nur nicht daraus, da? alles albern sei, was du nicht verstehst. Ich würde sonst viel albernes Zeug wissen.--Aber, o himmlische Gelehrsamkeit, wieviel ist dir ein Sterblicher schuldig, der dich besitzt! Und wie bejammernswürdig ist es, da? dich die wenigsten in deinem Umfange kennen! Der Theolog glaubt dich bei einer Menge heiliger Sprüche, fürchterlicher Erz?hlungen und einiger übel angebrachten Figuren zu besitzen. Der Rechtsgelehrte bei einer unseligen Geschicklichkeit, unbrauchbare Gesetze abgestorbner Staaten, zum Nachteile der Billigkeit und Vernunft, zu verdrehen und die fürchterlichsten Urtel in einer noch fürchterlichern Sprache vorzutragen. Der Arzt endlich glaubt sich wirklich deiner bem?chtiget zu haben, wann er durch eine Legion barbarischer W?rter die Gesunden krank und die Kranken noch kr?nker machen kann. Aber, o betrogene Toren! die Wahrheit l??t euch nicht lange in diesem sie schimpfenden Irrtume. Es kommen Gelegenheiten, wo ihr selbst erkennet, wie mangelhaft euer Wissen sei; voll tollen Hochmuts beurteilet ihr alsdann alle menschliche Erkenntnis nach der eurigen und ruft wohl gar in einem Tone, welcher alle Sterbliche zu bejammern scheinet, aus: Unser Wissen ist Stückwerk! Nein, glaube mir, mein lieber Anton: der Mensch ist allerdings einer allgemeinen Erkenntnis f?hig. Es leugnen, hei?t ein Bekenntnis seiner Faulheit oder seines m??igen Genies ablegen. Wenn ich erw?ge, wieviel ich schon nach meinen wenigen Jahren verstehe, so werde ich von dieser Wahrheit noch mehr überzeugt. Lateinisch, Griechisch, Hebr?isch, Franz?sisch, Englisch, Italienisch--das sind sechs Sprachen, die ich alle vollkommen besitze: und bin erst zwanzig Jahr alt!
Anton. Sachte! Sie haben eine vergessen; die deutsche--
Damis. Es ist wahr, mein lieber Anton; das sind also sieben Sprachen; und ich bin erst zwanzig Jahr alt!
Anton. Pfui doch, Herr! Sie haben mich oder sich selbst zum besten. Sie werden doch das, da? Sie Deutsch k?nnen, nicht zu Ihrer Gelehrsamkeit rechnen? Es war ja mein Ernst nicht.--
Damis. Und also denkst du wohl selber Deutsch zu k?nnen?
Anton. Ich? ich? nicht Deutsch! Es w?re ein verdammter Streich, wenn ich Kalmuckisch redete und wü?te es nicht.
Damis. Unter k?nnen und k?nnen ist ein Unterschied. Du kannst Deutsch, das ist: du kannst deine Gedanken mit T?nen ausdrücken, die einem Deutschen verst?ndlich sind; das ist, die ebendie Gedanken in ihm erwecken, die du bei dir hast. Du kannst aber nicht Deutsch, das ist: du wei?t nicht, was in dieser Sprache gemein oder niedrig, rauh oder annehmlich, undeutlich oder verst?ndlich, alt oder gebr?uchlich ist; du wei?t ihre Regeln nicht; du hast keine gelehrte Kenntnis von ihr.
Anton. Was einem die Gelehrten nicht weismachen wollen! Wenn es nur auf Ihr "das ist" ank?me, ich glaube, Sie stritten mir wohl gar noch ab, da? ich essen k?nnte.
Damis. Essen? Je nun wahrhaftig, wenn ich es genau nehmen will, so kannst du es auch nicht.
Anton. Ich? ich nicht essen? Und trinken wohl auch nicht?
Damis. Du kannst essen, das ist: du kannst die Speisen zerschneiden, in Mund stecken, kauen, herunterschlucken und so weiter. Du kannst nicht essen, das ist: du wei?t die mechanischen Gesetze nicht, nach welchen es geschiehet; du wei?t nicht, welches das Amt einer jeden dabei t?tigen Muskel ist; ob der Digastrikus oder der Masseter, ob der Pterygoideus internus oder externus, ob der Zygomatikus oder der Platysmamyodes, ob--
Anton. Ach ob, ob! Das einzige Ob, worauf ich sehe, ist das, ob mein Magen etwas davon erh?lt und ob mir's bek?mmt.--Aber wieder auf die Sprache zu kommen. Glauben Sie wohl, da? ich eine verstehe, die Sie nicht verstehen?
Damis. Du, eine Sprache, die ich nicht verstünde?
Anton. Ja; raten Sie einmal.
Damis. Kannst du etwa Koptisch?
Anton. Foptisch? Nein, das kann ich nicht.
Damis. Chinesisch? Malabarisch? Ich wü?te nicht woher.
Anton. Wie Sie herumraten. Haben Sie meinen Vetter nicht gesehn? Er besuchte mich vor vierzehn Tagen. Der redete nichts als diese Sprache.
Damis. Der Rabbi, der vor kurzen zu mir kam, war doch wohl nicht dein Vetter?
Anton. Da? ich nicht gar ein Jude w?re! Mein Vetter war ein Wende; ich kann Wendisch; und das k?nnen Sie nicht.
Damis (nachsinnend). Er hat recht.--Mein Bedienter soll eine Sprache verstehen, die ich nicht verstehe? Und noch dazu eine Hauptsprache? Ich erinnere mich, da? ihre Verwandtschaft mit der hebr?ischen sehr gro? sein soll. Wer wei?, wieviel Stammw?rter, die in dieser verloren sind, ich in jener
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